Haben Tiere Gefühle?

Lange war es in der Wissenschaft verpönt, Aussagen über Empfindungen von Tieren zu treffen. Heute sagen immer mehr Forschende: Ja, auch Tiere haben Gefühle. Woher kommt dieser Wandel? Und auf welchen Erkenntnissen beruht er?

von Niklas Kästner

Ein Artikel aus unserer Rubrik ETHOlexikon (Foto: Aaron Burden via Unsplash, zugeschnitten und gespiegelt)

Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Tiere Gefühle haben? Oder kommt Ihnen bereits die Frage komisch vor? Tatsächlich finden viele Menschen die Antwort offensichtlich: Man sieht ja schließlich, dass auch Tiere Angst, Freude oder Ärger empfinden können. Ganz so einfach ist es allerdings nicht – bloße Intuition ersetzt keine wissenschaftliche Aussage. Denn unsere Eindrücke können uns täuschen, und die Gefahr ist groß, dass wir unser eigenes Empfinden in andere Lebewesen hineinprojizieren.

Dieser Artikel beschäftigt sich damit, welche Antwort die Wissenschaft auf die Frage nach dem Gefühlsleben von Tieren gibt. Eine kleine Warnung vorab: Diese Antwort ist nicht ganz einfach – und sie ist auch längst nicht so eindeutig, wie man sich vielleicht wünscht.

Gefühl und Emotion

Beginnen wir mit einer Begriffsklärung. Was ist überhaupt gemeint, wenn in diesem Artikel von „Gefühlen“ die Rede ist? In den letzten Jahren findet man wesentlich häufiger den Ausdruck „Emotionen“. Aber was unterscheidet ein Gefühl von einer Emotion? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

Tatsächlich geht es bei diesen Begriffen oft ziemlich durcheinander. Manchmal sollen sie unterschiedliche Phänomene bezeichnen, manchmal werden sie synonym verwendet. In der Fachliteratur etablieren sich jedoch allmählich klare Definitionen. Am besten lassen sich diese an einem Beispiel verdeutlichen.

Stellen Sie sich vor, Sie haben Angst. Angst ist eine Emotion. Eine solche Emotion lässt sich in verschiedene Komponenten unterteilen: Sie nehmen eine geduckte Haltung an, schauen sich häufig um (Komponente: Verhalten). Sie interpretieren einen eigentlich unbedenklichen Schatten oder ein kaum wahrgenommenes Knacken plötzlich als mögliche Bedrohungen (Komponente: Kognition). Ihr Mund wird trocken und Ihr Herzschlag beschleunigt sich (Komponente: Physiologie). Sie sind darauf vorbereitet, bei Bedarf schnell zu flüchten (Komponente: Handlungsbereitschaft).

Neben diesen bisher genannten Komponenten gibt es noch eine weitere: das subjektive Empfinden der Angst. Das, was Sie in diesem Moment fühlen. Und genau diese Komponente der Emotion ist das, was zunehmend (und so auch in diesem Beitrag) mit dem Wort „Gefühl“ (Englisch: feeling) bezeichnet wird.

Was fühlt ein Tier? (Foto: Sianbuckler via Pixabay), zugeschnitten
Wissenschaft im Wandel

Ob Gefühl oder Emotion – lange Zeit galt in der Forschung das Dogma, dass sich dazu bei Tieren grundsätzlich keine Aussagen treffen lassen. Es wurde zwar in bedrohlichen Situationen auch bei Tieren ein häufiges Umschauen, eine geduckte Haltung beobachtet. Auch wurde eine erhöhte Fluchtbereitschaft festgestellt oder ein beschleunigter Herzschlag gemessen. Aber Rückschlüsse auf zugrundeliegende innere Zustände wie „Angst“ verboten sich.

Das änderte sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte, vor allem dank des wissenschaftlichen Fortschritts im Bereich der Neurowissenschaften. Denn dieser erlaubte mittels neuer Methoden, auch die Gehirn-Prozesse zu untersuchen, die den Emotionen zugrunde liegen. Durch vergleichende Untersuchungen ließ sich zeigen, dass die Hirn-Areale, die beim Menschen entscheidend für das Entstehen von Emotionen sind, nicht erst in den letzten Schritten unserer Evolution entstanden sind. Vielmehr handelt es sich um relativ „alte“ Strukturen, die wir mit allen übrigen Säugetierarten teilen. Aber das ist noch nicht alles: diese Hirn-Areale scheinen bei allen Säugetieren auch die gleichen Aufgaben zu erfüllen. Das heißt, die Teile des Gehirns, die beim Menschen in bedrohlichen (oder erfreulichen) Situationen aktiv sind, sind in entsprechenden Situationen auch bei anderen Säugetieren aktiv.

Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaften haben dazu geführt, dass heute Emotionen oder „emotionale Zustände“ zumindest bei allen Säugetieren anerkannt werden. Ein besonderes Verdienst in diesem Zusammenhang gebührt dem Wissenschaftler Jaak Panksepp, der sich auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Ergebnisse schon früh dafür ausgesprochen hat.

Vor kurzem gab es dann noch einen weiteren wichtigen Fortschritt. Durch geschickte Experimente ließ sich selbst die kognitive Komponente von Emotionen bei Tieren nachweisen: auch bei ihnen verändert sich abhängig vom emotionalen Zustand die Interpretation von Umweltreizen.

Die Grenzen der Wissenschaft

Halten wir also fest: Nicht nur Menschen, sondern zumindest alle Säugetiere haben emotionale Zustände. Wir finden auch bei ihnen entsprechende Veränderungen des Verhaltens, der Handlungsbereitschaft, der (Neuro-)Physiologie und der Kognition.

enden an diesem Punkt die Erklärungen. Aber reicht uns das schon? Helfen diese Erkenntnisse uns wirklich weiter in Bezug auf unsere Ausgangsfrage?

Tatsächlich fehlt nämlich noch eine Komponente. Bisher haben wir nichts darüber erfahren, ob emotionale Zustände auch bei Tieren mit einem subjektiven Empfinden einhergehen. Aber ist nicht dieses Empfinden, das Gefühl, das Wesentliche an einer Emotion? Wenn wir sagen „ich bin traurig“, dann geht es uns ja nicht um die physiologischen oder neurochemischen Prozesse in unserem Körper. Es geht uns darum, dass wir uns traurig fühlen. Genauso geht es uns nicht darum, welche Nervenzellen aktiv sind, oder welche Botenstoffe ausgeschüttet werden, wenn ein Tier den Kopf und die Ohren hängen lässt. Es geht uns darum, ob das Tier sich schlecht fühlt.

Aber genau hier liegt das Problem. Wir können zwar das Verhalten, die physiologischen Prozesse und jeden noch so kleinen elektrischen Impuls im Gehirn eines Tiers messen. Aber das Empfinden, das subjektive Erleben, lässt sich schlichtweg nicht objektiv erfassen. Nicht einmal indirekt. Weder lässt sich feststellen, wie ein Tier empfindet, noch, ob es überhaupt etwas empfindet. Der Grund dafür: Wie aus den elektrochemischen Vorgängen in den Nervenzellen des Gehirns ein Erleben entsteht, ist nach wie vor ein einziges riesengroßes Rätsel. Es wird nicht nur in den Lebenswissenschaften, sondern auch in der Philosophie rege und kontrovers diskutiert (vgl. „Leib-Seele Problem“ oder „Körper-Geist Problem“).

Was folgt daraus für unsere Frage, ob Tiere nicht nur emotionale Zustände, sondern auch Gefühle haben? Nehmen wir zwei recht gegensätzliche Positionen:

Position 1: Ausschließlich Menschen haben Gefühle. Die körperlichen Prozesse inklusive der Vorgänge im Gehirn, die in Menschen und anderen Säugetieren in Emotionen auslösenden Situationen ablaufen, gleichen einander zwar. Die emotionalen Zustände werden aber nur beim Menschen von einem Empfinden begleitet.

Position 2: Nicht bloß Menschen, sondern auch viele Tiere haben Gefühle. Das umfasst zumindest alle Säugetiere. Nicht nur gleichen die körperlichen Prozesse inklusive der Vorgänge im Gehirn in Emotionen auslösenden Situationen denen der Menschen. Auch bei Tieren werden emotionale Zustände von einem Empfinden begleitet.

Beide Positionen werden trotz des Fortschritts in der Neuro- und Verhaltensbiologie auch heute noch vertreten. Aber welche von beiden stimmt? Die unbefriedigende Wahrheit: Wir wissen es nicht. Der jetzige Stand der Wissenschaft erlaubt weder, eine der beiden Positionen eindeutig zu widerlegen, noch, sie zu beweisen. Trotzdem hat in den letzten Jahren in der Wissenschaft der Zuspruch für die zweite Position stark zugenommen und der für die erste entsprechend abgenommen.

Keine Beweise, aber Argumente

Womöglich sind Sie nun verwirrter, als zu Beginn dieses Artikels. Heißt das, es lässt sich gar keine Aussage über das Gefühlsleben von Tieren treffen? Warum setzt sich dann unter Wissenschaftler*innen dennoch mehr und mehr die zweite Position durch?

Die Antwort: Auch wenn wir keine wissenschaftlichen Möglichkeiten haben, diese Frage definitiv zu beantworten, so haben wir doch gute Argumente. Wenn wir im Verhalten und in der Physiologie so starke Parallelen zwischen Emotionen bei Menschen und den übrigen Säugetierarten finden, wenn sogar die gleichen Hirnregionen beteiligt sind – warum sollten Tiere ihre Emotionen dann nicht empfinden? Zwar sind beim Menschen während des Erlebens von Emotionen weitere, evolutionär jüngere Hirnregionen aktiv; sie erlauben uns, über unsere Emotionen nachzudenken, sie sogar zu beeinflussen. Aber sie scheinen nicht notwendig für die eigentliche Entstehung der Emotionen zu sein.

Wer noch nicht überzeugt ist, dem hilft vielleicht ein weiteres Argument. Nehmen wir wieder Sie als Beispiel. Sie haben Gefühle (nehme ich an), und Sie können darüber berichten. Wenn ich jetzt aber behaupten würde, Sie lögen und verhielten sich nur so, als würden Sie Ihre Emotionen auch empfinden, Sie wären jedoch eigentlich vollkommen empfindungslos – dann gäbe es keine wissenschaftliche Methode, um festzustellen, wer von uns beiden Recht hat.

Dass wir glauben, dass andere Menschen Gefühle haben wie wir, liegt daran, dass sie uns davon erzählen können. Aber was ist mit Menschen, die nicht in der Lage sind, uns an Ihrem Empfinden teilhaben zu lassen? Ein wenige Monate altes Baby kann uns zum Beispiel nicht sagen, was es fühlt. Sein Gehirn ist noch lange nicht ausgewachsen und vollständig entwickelt. Es erkennt sich nicht einmal im Spiegel. Und trotzdem würden wir wohl kaum in Frage stellen, dass dieses Baby Gefühle hat. Warum sollten wir sie dann nicht auch den übrigen Säugetieren zugestehen?

Und wenn ja, welche Tiere haben Gefühle?

Wir haben nun gesehen, warum auch ohne Beweise zunehmend anerkannt wird, dass Gefühle kein Alleinstellungsmerkmal des Menschen sind. Bisher haben wir uns dabei auf Säugetiere beschränkt. Aber was ist mit den übrigen Tiergruppen?

Auf der Grundlage von neurophysiologischen Befunden in Kombination mit Verhaltensuntersuchungen lässt sich bei Vögeln ebenfalls ziemlich sicher davon ausgehen, dass sie Gefühle haben. Auch bei Reptilien lassen sich zumindest grundlegende Gefühle vermuten (wie „Behagen“ und „Unbehagen“).

Bei den übrigen Tiergruppen wird es schwieriger, da ihre Gehirne sich von unseren stärker unterscheiden. Aber hier ist Vorsicht geboten: Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sie keine Gefühle haben. Es ist nicht unmöglich, dass bei stammesgeschichtlich weit entfernten Tierarten andere Bereiche des Gehirns Gefühle erzeugen. Wir wissen zum Beispiel mittlerweile, dass selbst manche Wirbellose zu enormen Denkleistungen fähig sind. Diese hatte man ihnen lange nicht zugetraut, da ihre Gehirne grundlegend anders organisiert sind als die von Wirbeltieren. Besonders bei Tieren mit einem komplexen Nervensystem und entsprechend komplexem Verhalten (z. B. Kopffüßer) ist also das Vorhandensein von Gefühlen zumindest nicht auszuschließen. 

Und wenn ja, welche Gefühle haben Tiere?

Noch schwieriger, als die Frage, ob Tiere Gefühle haben, ist die Frage, welche Gefühle sie haben. Neuro- und verhaltensbiologische Untersuchungen legen nahe, dass alle Säugetiere grundlegende emotionale Zustände teilen, wie Furcht, Wut, Traurigkeit, Zuneigung oder Freude. Wie differenziert einzelne Tierarten jedoch fühlen, und ob sie auch so etwas wie Eifersucht, Stolz oder Trauer empfinden, darüber lässt sich bloß spekulieren. Es ist sogar möglich, dass sich bei manchen Arten Emotionen und Gefühle entwickelt haben, die wir Menschen gar nicht kennen.

Ein wichtiger Punkt, den man sich in diesem Zusammenhang jedoch klarmachen sollte: Bis auf wenige Ausnahmen denken Tiere höchstwahrscheinlich nicht darüber nach, was sie gerade empfinden. Vom Gefühl der Traurigkeit bis zum Gedanken „ich bin traurig“ ist es noch ein ziemlich großer Schritt.

Fazit

Auch wenn es sich vorerst nicht beweisen lässt: Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte haben überzeugende Argumente dafür geliefert, dass nicht nur Menschen, sondern auch einige Tiere Gefühle haben. Ziemlich sicher gilt das für Säugetiere und Vögel, wahrscheinlich auch für Reptilien. Ob auch andere Tiere emotionale Zustände empfinden, bleibt weitgehend unklar. Aber vielleicht erlaubt uns der Fortschritt in der Wissenschaft ja schon bald auch hier konkretere Aussagen.


Literatur

Paul, E. S.; Sher, S.; Tamietto, M.; Winkielman, P. & Mendl, M. T. (2020): Towards a comparative science of emotion: Affect and consciousness in humans and animals. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 108: 749-770.

Panksepp, J.; Lane, R. D.; Solms, M. & Smith, R. (2017): Reconciling cognitive and affective neuroscience perspectives on the brain basis of emotional experience. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 76: 187-215.

Fabbro, F.; Aglioti, S. M.; Bergamasco, M.; Clarici, A. & Panksepp, J. (2015): Evolutionary aspects of self- and world consciousness in vertebrates. Frontiers in Human Neuroscience 9: 157.

Panksepp, J. (2011): The basic emotional circuits of mammalian brains: Do animals have affective lives? Neuroscience and Biobehavioral Reviews 35: 1791-1804.

Cabanac, M.; Cabanac, A. J. & Parent, A. (2009): The emergence of consciousness in phylogeny. Behavioural Brain Research 198: 267-272.

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12 Kommentare

  1. Sehr interessant!
    Dieser Artikel hat mich dazu bewegt mich weiter mit dem Bereich der Tierethik zu beschäftigen und mein Konsumverhalten zu überdenken.
    Danke für den Denkanstoß.
    Lieben Gruß

    1. Liebe Eva,

      vielen Dank für die Rückmeldung – wir freuen uns sehr, dass der Artikel Ihnen gefällt! 🙂

      Herzliche Grüße

      Niklas Kästner

  2. Es gibt aus meiner Sicht weitere Argumente dafür, dass auch Tiere Gefühle haben. Gefühle sind kein Luxus, sondern erfüllen wichtige Funktionen. Durch Gefühle werden Sinneseindrücke bewertet und interpretiert. Erst dadurch wird es überhaupt möglich die große Informationsmenge, die Lebewesen in jedem Augenblick rezipieren, zu ordnen, zu verarbeiten und sinnvoll darauf zu reagieren. Auch für soziale Interaktionen sind Gefühle wichtig. Gefühle helfen einem Individuum dabei Entscheidungen zu treffen.
    Diese Funktionen sind universell und nicht auf uns Menschen beschränkt. Wazu sollten Tieren zwar über die neurologischen Grundlagen für Gefühle verfügen, ihre Vorteile aber nicht nutzen? Eine solche „Verschwendung“ neurologischer Potenziale wäre sehr ungewöhnlich.

    1. Lieber Herr Pfuhl,

      das ist ein sehr guter Punkt! Allerdings ist nach wie vor nicht klar, inwieweit für diese (vermutete) Funktion der Emotionen wirklich das subjektive E m p f i n d e n von Gefühlen nötig ist.
      Ihr Argument fußt darauf, dass die neurobiologischen Grundlagen evolviert sind, um die Gefühle zu erzeugen. Es gibt aber auch die Ansicht, dass die übrigen Komponenten der Emotionen für die von Ihnen beschriebene Funktion ausreichen – und die empfundenen Gefühle nur eine „Begleiterscheinung“ sind.

      Trotzdem stimme ich Ihnen zu – es wäre sehr merkwürdig, wenn wir Menschen uns ausschließlich in diesem Punkt von den anderen Arten unterscheiden würden!

      Herzliche Grüße, Niklas Kästner

      1. Hallo Herr Kästner,
        vielleicht verstehe ich nicht richtig, was sie mit Empfinden von Gefühlen meinen.
        Mein Argument bezieht sich auf die Bewertung von Informationen durch Gefühle. Diese Bewertung erlaubt sinnvolle und oft auch schnelle Reaktionen. Ein naheliegendes Beispiel ist Angst. Ein unbekanntes, sich näherndes Geräusch macht nicht nur den meisten Menschen Angst, sondern auch vielen Tieren. Je nach Spezies kommt es dann zu Flucht-, Tarn- oder Verteidigungsreaktionen. Das Angstgefühl sorgt viel schneller für eine möglicherweise überlebenswichtige Reaktion, als eine differenzierte Analyse durch weitere kognitive Verarbeitungsprozesse.
        Damit das funktioniert, muss aber nach meinem Verständnis die Angst, oder ein funktional adäquates Gefühl, auch empfunden werden. Wenn nicht, wären ja nur rein reflexhafte Reaktionen möglich. Die gibt es natürlich auch, der Vorteil von empfundenen Gefühlen scheint mir aber, dass sie sehr differenzierte und nicht nur auf einen Augenblick bezogene Reaktionen ermöglichen.

      2. Lieber Herr Pfuhl,
        vielen Dank, dass Sie ihr Argument noch einmal näher erläutert haben. Das Ganze ist etwas kompliziert, da es die philosophische Frage nach dem Verhältnis von Geist/Bewusstsein und Körper berührt.

        Bleiben wir bei Ihrem Beispiel der Angst. Das, was Sie beschreiben, ist tatsächlich die Funktion, die man Emotionen zuschreibt – also, das Erzeugen eines Zustands, der eine der Situation möglichst angemessene Verhaltensreaktion begünstigt.

        Nach allem, was wir bisher wissen, würde es für diese Funktion aber reichen, dass der Herzschlag sich beschleunigt, dass bestimmte Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet werden, bestimmte Hirnareale besonders aktiv sind, etc. Das Empfinden von Angst, also das „Gefühl“, wäre dafür nicht zwingend nötig – was es im Übrigen bisher so schwer zu erklären macht, warum es diese bewussten Empfindungen überhaupt gibt.

        Wenn es aber tatsächlich so ist, dass auch das Gefühl (also der empfundene Zustand) für die Funktion wichtig ist – dann würde natürlich auch Ihr Argument greifen! Allerdings würde es sich dann um einen Fall von „mentaler Verursachung“ handeln – d.h. ein mentaler Zustand (das empfundene Gefühl) verursacht eine beobachtbare Veränderung (in dem Fall ein Verhalten). Die meisten Neurowissenschaftler*innen würden das wohl ausschließen – manche Philosoph*innen halten das aber für durchaus möglich.

        Beste Grüße, Niklas Kästner

      3. Hallo Herr Kästner,
        eigentlich sehe ich hier keine philosophischen Fragen berührt.
        Für eine einfache Verhaltensreaktion, z.B. auf Angst, würden physiologische Prozesse wohl ausreichen. Bei vielen Tieren kann man aber sehr differenzierte Reaktionen auf Angst beobachten. In meinem Beispiel nähert sich ein dem Tier unbekanntes Geräusch. Eine typische Reaktion bei Vögeln oder Säugetieren ist dann „sichern“, also ein sichtbares Fokussieren auf die mögliche Geräuschquelle. Danach können bei ein und demselben Tier sehr unterschiedliche Reaktionen folgen, wie Entspannung, langsames sich Entfernen, Deckung suchen, schnelle Flucht usw. Meiner Meinung nach kann man das als kognitive Verarbeitung auf das, durch die Angst aus der Menge an Sinneswahrnehmungen herausgehobene, Geräusch interpretieren. Wie aber sollte eine solche Verarbeitung möglich sein, wenn das Tier dieses Gefühl nicht auch empfindet? Darüber hinaus sind viele Tiere lernfähig, gerade was potenzielle Bedrohungen angeht. Sie stellen also Zusammenhänge zwischen einer Störung und nachfolgenden Ereignissen her. Auch hier kann ich mir nicht erklären, wie das ohne die Empfindung eines zugehörigen Gefühls möglich sein sollte.
        Das sind natürlich keine Beweise im streng wissenschaftlichen Sinn, m.E. aber sehr gute und plausible Hinweise.
        Viele Grüße
        Dirk Pfuhl

      4. Lieber Herr Pfuhl,

        es handelt sich, glaube ich, nach wie vor um ein Missverständnis. Mit physiologischen Prozessen meine ich auch die Abläufe im Gehirn, d.h. die Kommunikation der Nervenzellen.
        Auch menschliches Verhalten lässt sich komplett auf dieser Ebene erklären. Wir können genau durch das Feuern der einzelnen Neuronen im Gehirn erklären, wie (auch extrem komplexes) Verhalten zustande kommt. Ohne jegliche Bezugnahme auf Empfindungen – und damit sind eben Empfindungen auf der geistigen Ebene gemeint.

        Sie führen an, dass die Empfindung wichtig wäre für das Verhalten. Die Neurowissenschaft würde so argumentieren: Die körperlichen Prozesse (Feuern der Neuronen z.B.), die die Empfindung erzeugen, bewirken auch das beobachtete Verhalten.

        Das macht das Bewusstsein zu einem Rätsel: Theoretisch würde nach unserem jetzigen Wissen all unser Verhalten auch stattfinden können, ohne dass wir etwas dabei fühlen, denken oder Sinneseindrücke bewusst wahrnehmen. Die Kommunikation der Nervenzellen reicht aus, um unsere Beobachtungen zu erklären.

        Wenn man sich mit dem Sachverhalt noch nicht in der Tiefe auseinandergesetzt hat, mag das komisch klingen. Ich empfehle Ihnen, einfach mal zum „Leib-Seele-Problem“ bzw. zur „Philosophie des Geistes“ zu recherchieren. 🙂

        Beste Grüße

        Niklas Kästner

      5. Hallo Herr Kästner,

        wie so oft, ist es schließlich komplizierter als gedacht.
        Ich danke ihnen für diese interessante Diskussion. Sie hat mein Verständnis für die Thematik vertieft.

        Viele Grüße
        Dirk Pfuhl

      6. Lieber Herr Pfuhl,

        sehr gerne! Herzlichen Dank für Ihr Interesse. 🙂

        Beste Grüße

        Niklas Kästner

      7. Das Problem in dieser Diskussion ist, daß der Begriff „Empfinden“ im Unterschied zum Begriff „Fühlen“ nicht definiert ist. Um seine Notwendigkeit zwischen Fühlen und Denken zu beweisen, bedarf es einer präzisen Umschreibung, die ihn gegen Fühlen ebenso abgrenzt wie gegen den Gedanken, den Satz „ich bin traurig“ Meines Erachtens ist der Begriff „Empfindung“ überflüssig. Er stiftet Verwirrung, wo Klärung notwendig ist.

      8. Lieber Herr Kunert,

        Sie haben völlig recht! Mit dem „subjektiven Empfinden“ einer Emotion meinte ich nichts anderes als das, was im Artikel als „Fühlen“ bzw. „Gefühl“ definiert ist. Mir ging es nur darum, noch einmal Emotion und Gefühl bzw. Fühlen voneinander abzugrenzen.

        Herzliche Grüße

        Niklas Kästner

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