Unterscheiden Keas zwischen realer und virtueller Welt?

Für uns macht es einen großen Unterschied, ob wir ein Geschehen direkt oder auf einem Bildschirm betrachten. Bei Keas scheint das einer aktuellen Studie zufolge hingegen nicht der Fall zu sein.

von Niklas Kästner

Keas sind für ihre außergewöhnliche Intelligenz bekannt.
Keas sind für ihre außergewöhnliche Intelligenz bekannt (Foto: Sébastien Goldberg via Unsplash, zugeschnitten)

Wir Menschen können für gewöhnlich zwischen dem Geschehen auf einem Bildschirm und der Realität unterscheiden. Wenn wir beispielsweise eine Fußballübertragung schauen, wissen wir, dass die Spieler*innen nicht wirklich in unserem Fernseher herumlaufen. Wenn der Ball aus dem Bild hinausfliegt, erwarten wir entsprechend auch nicht, dass er in unserem Wohnzimmer landet.

Neuere Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung legen nahe, dass bereits anderthalbjährige Kinder virtuelles von realem Geschehen zu trennen vermögen. Doch wie sieht es bezüglich dieser Fähigkeit bei Tieren aus? Das haben Forschende in einer aktuellen Studie erstmals an Keas (Nestor notabilis) untersucht – die für ihre hohe Intelligenz bekannt sind.

Keas reagieren sowohl auf reales als auch auf virtuelles Geschehen

Die Forschenden Amalia Bastos, Patrick Wood und Alex Taylor präsentierten sechs männlichen Keas zunächst eine reale Wippe. Diese konnten die Wissenschaftler*innen über einen verborgenen Mechanismus so kippen, dass ein darauf liegender Schaumstoffball entweder über das linke oder das rechte Ende in eine dort jeweils aufgestellte, nicht einsehbare Box rollte. Anschließend galt es für die Keas, die Box mit dem Ball zu berühren, um eine Belohnung zu erhalten.

Hatten die Vögel das gelernt, tauschte das Team das reale Geschehen gegen ein virtuelles: Die Keas sahen nun die gleichen Abläufe auf einem Bildschirm und mussten für eine Belohnung jeweils diejenige virtuelle Box identifizieren, die den virtuellen Ball enthielt – was sie ebenfalls rasch lernten.

Ein "Proband" hält einen Schaumstoffball vor dem Bildschirm im Schnabel.
Ein „Proband“ hält einen Schaumstoffball vor dem Bildschirm im Schnabel (Foto: Amalia Bastos)

Was passiert, wenn virtuelles und reales Geschehen scheinbar verschmelzen?

Im nächsten Schritt kombinierten die Forschenden virtuelle und reale Gegenstände: Sie platzierten die echten Boxen so vor dem Bildschirm, dass es den Eindruck machte, als rollte der virtuelle Ball in eine von diesen hinein – während beide Behältnisse in Wahrheit leer blieben. Wie würden die Keas darauf reagieren?

Es zeigte sich: Die Vögel wählten zuverlässig die Box, in die der Ball auf dem Bildschirm scheinbar hineingerollt war. Damit unterschied sich ihre Reaktion deutlich von der 19 Monate alter Kinder: Diese erkannten in einem ganz ähnlichen Experiment offenbar, dass beide Boxen leer waren und zeigten sogar manchmal sogar auf den Bildschirm.

Allerdings war für die Kinder klar, worum es bei ihrer Entscheidung ging – denn sie wurden direkt gefragt, wo sich der Ball befand. Die Keas hingegen mussten durch Erfahrung lernen, für welches Verhalten die Forschenden sie belohnten. Vielleicht verstanden sie durchaus, dass der Ball nicht wirklich in einer der realen Boxen lag – aber als sie vor die Wahl gestellt waren, entschieden sie sich für diejenige, von der sie sich am ehesten eine Belohnung versprachen. Ob das der Fall war, überprüfte das Team in einem weiteren Experiment.

Virtuelle und reale Gegenstände im direkten Vergleich

Wieder präsentierten die Forschenden den Vögeln den Bildschirm mit den realen Boxen davor. Diesmal gaben sie zunächst mit einem Holzspieß den Schaumstoffball in eins der Behältnisse. Anschließend erschien auf dem Bildschirm ein Spieß, der einen Ball dem Anschein nach in das andere Behältnis beförderte. Die Vögel hatten nun also die direkte Wahl zwischen einer Box, in der sich tatsächlich ein Ball befand, und einer, bei der das virtuelle Geschehen bloß den entsprechenden Eindruck erweckt hatte. Würden sie sich im Verlauf mehrerer Durchgänge bevorzugt für erstere entscheiden? Das war eindeutig nicht der Fall: Die Vögel zeigten keinerlei Präferenz für eins der Behältnisse.

Bewegte Bilder aus der Studie in einem YouTube-Video des Forschungsteams.

Eine wichtige Kontrolle

Aber hatten die Keas überhaupt verstanden, dass es um den Inhalt der Boxen ging? Vielleicht hatten sie stattdessen während der vorherigen Experimente die Regel gelernt, stets das Behältnis zu wählen, auf das sich ein echter oder virtueller Ball zubewegte. Dann wäre es nicht verwunderlich, dass sie im Experiment mit den Spießen beide Behältnisse gleich häufig wählten – unabhängig davon, in welcher tatsächlich ein Ball landete.

Um das zu überprüfen, führten die Forschenden einen Kontrollversuch durch. Dieser glich dem vorhergehenden Experiment, allerdings war das Geschehen auf dem Bildschirm verändert: Der virtuelle Ball verschwand diesmal nicht hinter der echten Box, sondern rollte scheinbar von ihr hinunter und fiel auf den Boden. Der echte Spieß beförderte den echten Schaumstoffball hingegen wie zuvor in das andere Behältnis.

Erneut durften die Keas in mehreren Durchgängen zwischen den beiden Boxen wählen. Das Ergebnis: Drei der sechs Vögel wählten in diesem Fall deutlich häufiger die Box, in der sich der reale Ball befand. Das lässt den Schluss zu, dass zumindest diese Tiere verstanden hatten, dass es bei ihrer Wahl um den Inhalt der Boxen ging.

Fazit

Anders als Kleinkinder zeigten sich die Keas in der Untersuchung nicht verunsichert, wenn ein Ball nur virtuell in eine echte Box „hineinrollte“. Sie unterschieden nicht einmal im direkten Vergleich zwischen Behältnissen, in die ein echter Ball gegeben wurde, und solchen, bei denen das Geschehen auf dem Bildschirm bloß den Anschein erweckte. Dabei hatte immerhin die Hälfte der Vögel offenbar verstanden, dass es auf den Inhalt der Boxen ankam – was darauf hindeutet, dass sie tatsächlich annahmen, die virtuellen Bälle würden in der echten Box landen. Zusammengenommen legen die Ergebnisse nahe, dass Keas das, was sie auf einem Bildschirm sehen, nicht anders bewerten als das, was in der Realität geschieht.


Zur Fach-Publikation:
Bastos, A. P. M. (2021): Are parrots naïve realists? Kea behave as if the real and virtual worlds are continuous. Biology Letters 20210298.

Weitere Literatur:
Revencu, B. & Csibra 2020 (2020): For 19-months-olds, what happens on-screen stays on-screen. 42nd Open Minds 5: 71-90.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert