Ist unsere Stimmung düster, ist es auch unser Blick auf die Welt. Einer aktuellen Studie zufolge könnte es Tintenfischen in dieser Hinsicht ähnlich gehen. So interpretierten die Tiere ein Signal negativer, wenn sie zuvor Stress erfahren hatten.
Gefühle beeinflussen unser Denken: Wenn wir uns schlecht fühlen, werden wir pessimistischer, wenn wir uns gut fühlen, optimistischer. In den vergangenen Jahren ist immer deutlicher geworden, dass dieser Zusammenhang auch bei manchen Tieren besteht: So interpretieren beispielsweise Mäuse ein uneindeutiges Signal pessimistischer, wenn sie sich in einem negativen emotionalen Zustand befinden. Dies wird als „Cognitive Judgement Bias“ bezeichnet. Nun haben Forschende dieses Phänomen erstmals auch bei Tintenfischen nachgewiesen.
Training mit unterschiedlichen Signalen
In der Studie verwendeten die Wissenschaftlerinnen Sarah Giancola-Detmering und Robyn Crook den sogenannten „Judgement Bias Task“. Hierzu trainierten sie 17 Stumpfdorn-Sepien (Sepia bandensis) zunächst darauf, entweder ein Muster aus horizontalen oder eines aus vertikalen Streifen als positives Signal mit einer Futterbelohnung zu assoziieren. Streifen der jeweils anderen Orientierung bedeuteten kein Futter, waren also als Signal neutral. Jedes Signal war in einer eigenen Kammer des Versuchsaquariums angebracht, so dass die Forschenden beobachten konnten, wie schnell die Tiere aus einer Startkammer heraus zu dem jeweiligen Signal schwammen und ob sie dort Such- und Jagdverhalten an den Tag legten.
Nachdem die Tiere gelernt hatten, das positive Signal mit Futter zu assoziieren setzten die Forscherinnen neun der Tiere einige Tage lang Stress aus. Hierzu entfernten sie jegliche Anreicherung aus deren Aquarien, so dass diese in leeren Becken schwammen. An drei Tagen wurden die Tiere außerdem vorsichtig gejagt und für kurze Zeit in Keschern gefangen. Als nicht gestresste Vergleichsgruppe dienten acht Tiere, die nicht gejagt wurden und deren Aquarien unverändert mit strukturierenden Elementen und Rückzugsorten ausgestattet blieben.
Ein uneindeutiges Signal
Beim eigentlichen Test wurden die Tiere einzeln in die Startzone eines Versuchsbeckens gesetzt. Von dort konnten sie in zwei Kammern schauen. In einer sahen sie das neutrale Signal, bei dem sie zuvor keine Belohnung erhalten hatten – also je nach Versuchsgruppe horizontale oder vertikale Streifen. In der anderen Kammer sahen sie nun aber nicht das jeweils gegensätzliche positive Signal mit einem um 90 Grad gedrehten Streifenmuster. Stattdessen präsentierten die Forschenden ihnen dort diagonale Streifen, die im 45-Grad-Winkel verliefen – und somit genau zwischen dem positiven und dem neutralen Signal lagen.
Es zeigte sich: Im Vergleich zu den gestressten Tieren wählten die nicht gestressten im Test öfter die Kammer mit dem uneindeutigen Signal als erstes Ziel und verbrachten dort mehr Zeit mit Futtersuche. Zudem schwammen sie genauso schnell hinein wie in die Kammer mit dem positiven Signal während der Trainingsphase – und waren damit wesentlich schneller als die gestressten Tiere. Dieses Verhalten lässt darauf schließen, dass die nicht gestressten Tiere das uneindeutige Signal positiver interpretierten und dort eher eine Belohnung erwarteten als die gestressten.
Fazit
Die Studie lässt darauf schließen, dass Tintenfische durch negative Erlebnisse pessimistischer werden. Bei Menschen deutet eine solche Tendenz auf negative Gefühlszustände hin. Wie ist das bei den Tintenfischen? Einen klaren Schluss erlauben die Ergebnisse nicht – denn eine negative Interpretation von uneindeutigen Signalen in Folge negativer Erlebnisse wäre prinzipiell auch möglich, ohne dass dies mit einem bestimmten Gefühlszustand einhergeht. Doch auf der Grundlage des in den letzten Jahren gewachsenen Wissens über Kopffüßer erscheint es durchaus möglich, dass die gestressten – und dadurch pessimistischeren – Tintenfische sich auch tatsächlich schlecht fühlen.
Vor diesem Hintergrund sehen die Autorinnen den Judgement Bias Task als mögliches Werkzeug, um Rückschlüsse auf den Gefühlszustand von Sepien unter verschiedenen Haltungsbedingungen zu gewinnen und so ihr Wohlergehen in Menschenhand zu verbessern. Und das nicht allein aus ethischen Gründen: Die Notwendigkeit dazu wird in der Forschung auch deshalb zunehmend anerkannt, da Stress beispielsweise die Aussagekraft von Versuchen zum Verhalten oder zu körperlichen Reaktionen von Tieren beeinträchtigen kann.
Zur Fach-Publikation:
Gianola-Detmering, S. E. & Crook, R. (2024): Stress produces negative judgement bias in cuttlefisch. Biology Letters 20.
Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.