Mit dem Kopf durch die Wand? Problemlösung bei Saumfingerechsen

Versuche zu Denk- und Lernleistungen von Tieren werden häufig unter kontrollierten Bedingungen im Labor durchgeführt. Nicht so in einer aktuellen Studie: Auf den Bahamas untersuchten Forscher die Lernfähigkeit von Saumfingerechsen in der freien Natur.

von Niklas Kästner

Ein zu den Saumfingerechsen gehörender Bahamaanolis
Ein männlicher Bahamaanolis im Studiengebiet (Foto: Manuel Leal)

In den letzten Jahrzehnten haben wir viel über die Denk- und Lernleistungen von Tieren gelernt. In diesem Forschungsfeld wird ein Großteil der Versuche mit Individuen in Menschenhand durchgeführt. Das hat nicht nur den Vorteil, dass die Bedingungen standardisiert werden können. Die Tiere lassen sich so auch leichter zur Teilnahme an den Experimenten bewegen. Der Nachteil ist allerdings ebenso offensichtlich: Die Versuche finden unter recht künstlichen Bedingungen statt.

Um der natürlichen Lebensweise einer Art besser Rechnung zu tragen, suchen Forschungsteams immer wieder nach Wegen, Denk- und Lernleistungen von Tieren in der Wildnis zu testen. Ein aktuelles Beispiel ist eine Studie der Forscher Levi Storks und Manuel Leal: Sie untersuchten die Fähigkeit zur Problemlösung bei freilebenden Saumfingerechsen. Das Arbeiten unter natürlichen Bedingungen hatte in diesem Fall einen zusätzlichen Vorteil: Die untersuchte Echsenart lebt auf den Bahamas.

Die Idee

Der Bahamaanolis (Anolis sagrei) ist ein Ansitzjäger, der von einer erhöhten Position am Baumstamm aus auf am Boden krabbelnde Insekten wartet. Erspäht er ein Beutetier, sprintet er los und schnappt zu.

Storks und Leal wollten in ihrem Experiment herausfinden, wie die Echsen reagieren, wenn dieses routinierte Verhalten plötzlich nicht mehr zum Erfolg führt. Dazu präsentierten sie den Tieren eine Fliegenmade, die sich unter einem durchsichtigen Halbzylinder befand (siehe Fotos unten). Die Echsen konnten ihre Beute also nicht direkt erreichen. Stattdessen mussten sie einen Umweg machten und von der Seite in den Zylinder laufen. Würden die Tiere das im Zuge mehrerer Durchgänge lernen und ihr Verhalten verändern?

Die Durchführung

Für das Experiment war es nötig, dass die Forscher einzelne Echsen wiederholt testen konnten. Daher fingen sie zu Beginn der Untersuchung 10 männliche und 13 weibliche Tiere ein und markierten sie mit Heftpunkten, die auch zur Kennzeichnung von Bienenköniginnen verwendet werden. Anschließend ließen sie die Echsen wieder frei, gaben ihnen einen Tag zur Erholung und begannen dann mit dem Versuch.

Zunächst stellten sie die Versuchsapparatur wiederholt ohne den durchsichtigen Zylinder unter den Baum des zu testenden Tiers. Ziel war dabei, dass die Echsen sich an die unbekannte Apparatur gewöhnten. Das klappte problemlos: Sie erbeuteten zuverlässig die angebotenen Maden.

Für den entscheidenden Teil des Experiments wurde dann der Halbzylinder über die Fliegenmade gestülpt und die Tiere hatten 15 Minuten lang Zeit für die „Jagd“. Die Forscher beobachteten, wie häufig die Echsen mit dem Maul die durchsichtige Zylinderwand berührten, und ob sie letztlich die Beute erreichten. Dieser Ablauf wurde pro Tag bis zu zehn Mal wiederholt.

Die verwendete Versuchsapparatur
Die Versuchsapparatur: Links ohne Zylinder für die Gewöhnungsphase, rechts mit Zylinder für den eigentlichen Versuch. Unter dem Magneten wurde eine Fliegenmade fixiert (Fotos: Manuel Leal).

Das Ergebnis

Von den 23 markierten Echsen blieben 17 lange genug am Ball, um ihre Ergebnisse auswerten zu können. Von diesen 17 Tieren gelang es immerhin 9, das von den Forschern festgelegte Erfolgskriterium zu erfüllen: Sie ergatterten die Made hinter der durchsichtigen Wand in mindestens 7 von 8 Versuchen.

Besonders bemerkenswert: Die Tiere berührten mit zunehmender Erfahrung den Zylinder immer seltener mit dem Maul. Sie lernten also nach und nach, dass der direkte Weg in diesem Fall nicht zum Erfolg führte, und passten ihr Verhalten der Situation an.

Fazit

Der Lernerfolg der Echsen ist ein schönes Beispiel dafür, dass selbst eine routiniert ausgeführte, fest verankerte Verhaltensweise durch Erfahrungen verändert werden kann. Dieses Ergebnis ist besonders erstaunlich, da die Tiere einer durchsichtigen Barriere im Zuge ihrer Entwicklungsgeschichte vermutlich nie begegnet sind.

So macht die Studie von Storks und Leal einmal mehr deutlich, dass auch Reptilien in Bezug auf ihre Lernfähigkeit lange unterschätzt wurden. Darüber hinaus zeigt die Untersuchung: Experimente zu kognitiven Fähigkeiten können unter bestimmten Umständen auch in der Natur erfolgreich durchgeführt werden.


Zur Fach-Publikation:
Storks, L. & Leal, M. (2020): Thinking outside the box: problem-solving in free-living lizards. Behavioral Ecology and Sociobiology 74: 75.

Hinweis: In einer ersten Version des Artikels haben wir den Bahamaanolis als „Eidechse“ bezeichnet. Im engeren Sinne bezieht sich dieser Begriff allerdings nur auf Arten der Familie Lacertidae („Echte Eidechsen“). Daher haben wir den Artikel inzwischen angepasst und verwenden den Begriff „Saumfingerechsen“.

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