Blaumeisen leben in der Brutsaison als Paar, verbringen das übrige Jahr aber in lockeren Gruppenverbänden. Wie viel Zeit einzelne Vögel im Winter miteinander verbringen, gibt Aufschluss über ihr Paarungsverhalten im kommenden Frühjahr.
Vögel galten lange als Paradebeispiel für sexuelle Monogamie: Ein Männchen und ein Weibchen ziehen zusammen die gemeinsamen Jungtiere groß. Diese scheinbare Gewissheit wurde jedoch geradezu hinweggefegt mit dem Aufkommen moderner Methoden zur Vaterschaftsanalyse. Nicht selten war ein erheblicher Anteil der Eier im Gelege nicht vom Partner des entsprechenden Weibchens befruchtet.
Inzwischen hat man für viele Vogelarten gezeigt, dass sie zwar sozial monogam leben – aber nicht unbedingt sexuell. Zu diesen Arten gehört auch die Blaumeise (Cyanistes caeruleus). In nahezu jeder zweiten Brut finden sich Junge, deren Vater nicht der Sozialpartner der Mutter ist.
Im Winter sind Blaumeisen nicht als Paare, sondern in lockeren Gruppenverbänden unterwegs. Eine aktuelle Studie hat nun untersucht, ob das Verhalten der Vögel in dieser Zeit bereits Aufschluss darüber gibt, mit wem sie im kommenden Frühjahr wahrscheinlich gemeinsam nisten – und mit wem sie am ehesten einen Seitensprung haben.
Die Untersuchung
Das Team um Kristina Beck, Damien Farine und Bart Kampenaers hat dazu Daten einer mehrere hundert Tiere umfassenden Blaumeisenpopulation in einem Untersuchungsgebiet in Süddeutschland analysiert. Die Daten wurden mithilfe von Transpondern gewonnen, mit denen die Tiere ausgestattet waren. Wann immer einer der Vögel im Winterhalbjahr eine von 20 Futterstellen im Untersuchungsgebiet aufsuchte, wurde sein Transponder registriert. Das gleiche geschah beim Besuch eines der mehr als 200 Nistkästen. Aus den Daten konnte das Team dann ablesen, wie oft ein Männchen und ein Weibchen im Winter gemeinsam eine Futterstelle aufsuchten, und wie oft sie zusammen einen Nistkasten inspizierten. Der Vorteil dieser Methode: man erhält viel mehr Datenpunkte, als mit vergleichbarem Aufwand durch eine direkte Beobachtung der Vögel möglich wäre.
In der Brutsaison wurde dann erfasst, welche Paare gemeinsam Jungen aufzogen. Außerdem gaben Vaterschaftsanalysen Aufschluss darüber, zwischen welchen Individuen es zu einem Seitensprung kam. All diese Daten wurden in Bezug auf folgende übergeordnete Frage analysiert: Lässt sich anhand der Zeit, die zwei Vögel im Winter miteinander verbringen, das Brut- und Paarungsverhalten in der kommenden Brutsaison vorhersagen?
Das Ergebnis
Tatsächlich ließ sich am Verhalten der Tiere einiges ablesen. Vögel, die im Winter öfter zusammen erfasst wurden, brüteten im kommenden Frühjahr häufiger zusammen. Sogar Nachbarschaftsverhältnisse waren ersichtlich: Je weniger Kontakt zwei Vögel im Winter hatten, desto weiter entfernt waren im Frühjahr ihre Brutgebiete voneinander.
Und was war mit den Seitensprüngen? Wie erwartet fand das Team in fast jedem zweiten der 124 untersuchten Nester Jungvögel fremder Männchen. Im Durchschnitt waren das zwei solcher „Kuckuckskinder“ pro Nest, im Extremfall bis zu 11. Und wirklich: mit wem ein Vogel seinen Partner oder seine Partnerin betrog, ließ sich anhand der Daten aus dem vorhergehenden Winter grob vorhersagen. Je häufiger Männchen und Weibchen gemeinsam eine Futterstelle besucht oder einen Nistkasten inspiziert hatten, desto wahrscheinlicher kam es im Frühjahr zwischen ihnen zu einem Seitensprung.
Alternative Erklärungen ausgeschlossen
Nun könnte man Folgendes einwenden: Wenn die Stärke der Verbindung der Tiere im Winter beeinflusst, wie weit entfernt ihre Brutreviere im Frühjahr liegen, kann das nicht die Ergebnisse verfälschen? Denn zwischen Nachbar und Nachbarin kommt es vermutlich aus rein logistischen Gründen häufiger zu Seitensprüngen als zwischen weit voneinander entfernt brütenden Vögeln. Das ist zwar ein berechtigter Einwand. Beck und Kollegen haben diesen Faktor allerdings bereits mit in ihre Analyse einbezogen. Auch unter Berücksichtigung der Nähe der Brutreviere blieb der Zusammenhang zwischen der gemeinsam Zeit im Winter und der Wahrscheinlichkeit eines Seitensprungs bestehen.
Darüber hinaus könnte man vermuten, dass es sich bei den Seitensprung-Partnern um Paare handelte, die in der vorherigen Saison gemeinsam in einem der Nistkästen gebrütet hatten, und dass sie deswegen auch im Winter mehr Zeit miteinander verbrachten. Doch auch diesen Punkt berücksichtigte das Team: wenn sie in die Analyse nur solche Vögel einbezogen, von denen mindestens einer im Vorjahr nicht im Brutgebiet nistete, änderte das nichts an den Ergebnissen.
Fazit
Die Studie zeigt, dass das Verhalten einer Blaumeisenpopulation im Winter Hinweise auf das Paarungsverhalten in der kommenden Brutsaison gibt. Nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Paarbildung, sondern auch die eines Seitensprungs stieg mit der Zeit, die Männchen und Weibchen im vorhergehenden Winter miteinander verbracht hatten. Das ist ein spannendes Ergebnis an das zukünftige Untersuchen anknüpfen können. Besonders interessant wäre die Frage: Welche Aspekte beeinflussen die Verbindungen der Vögel im Winter?
Zur Fach-Publikation:
Beck, K. B.; Farine, D. R. & Kempenaers, B. (2020): Proceedings of the Royal Society B 287: 20192606.
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