Werden brütende Meisen in ihrer Nisthöhle gestört, stoßen sie oftmals ein drohendes Zischen aus. Die Ergebnisse zweier aktueller Studien sprechen dafür, dass die Vögel mit den schlangenähnlichen Lauten mögliche Nesträuber abschrecken.
Viele Meisen reagieren mit einem lautstarken Zischen, wenn ein möglicher Nesträuber versucht, in ihre Nisthöhle einzudringen. Schon länger wird vermutet, dass die Vögel mit diesen Tönen Schlangen nachahmen, um ihre Feinde abzuschrecken. Nun gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die diese Hypothese stützen.
Zusammenhang zwischen Zischen und Nestplünderung
In einer im letzten Jahr erschienenen Studie beschrieb ein Forschungsteam um Anders Pape Møller und Wei Liang ein interessantes Phänomen: In Brutgebieten von Meisen, in denen mehr Schlangen vorkamen, zischte ein größerer Anteil der brütenden Vögel bei einer Störung. Das passt zur Nachahmungs-Hypothese: Die „akustische Verkleidung“ ist vermutlich dort besonders effektiv, wo Nesträuber eher damit rechnen, auf eine Schlange zu treffen.
Ein weiteres Ergebnis sprach für eine abschreckende Wirkung des Zischens: In Brutgebieten, in denen besonders viele Meisen zischten, gab es weniger Nestplünderungen. Allerdings lässt ein solcher beobachteter Zusammenhang keinen sicheren Schluss auf Ursache und Wirkung zu.
Das Zischen brütender Meisen hält Streifenhörnchen auf Abstand
In einer weiteren Studie untersuchten Anders Pape Møller und Wei Liang mit ihrem Kollegen Diego Gil ganz konkret, wie mögliche Nesträuber auf das Zischen der Meisen reagieren. Dazu arbeiteten sie mit asiatischen Streifenhörnchen (Tamiops swinhoei), die sowohl für die Eier als auf für die Nestlinge der Vögel eine Bedrohung darstellen.
Zunächst konfrontierte das Team 9 Hörnchen im Labor beim Fressen entweder mit Zischlauten von Meisen oder einem ähnlichen, als weißes Rauschen bezeichneten Geräusch. Das Ergebnis: Erklang das Vogelzischen unterbrachen 7 der 9 Nager ihr Fressen und zeigten eine Fluchtreaktion – erklang das weiße Rauschen war es hingegen nur ein einziger. Es scheint also nicht ein plötzliches Geräusch an sich zu sein, das die Tiere vertreibt, sondern speziell das schlangenähnliche Zischen.
Ein vergleichbares Ergebnis zeigte sich auch bei einem Experiment unter natürlicheren Bedingungen. Das Team platzierte Erdnüsse als Futter für wildlebende Streifenhörnchen auf Nistkästen, die gerade nicht besetzt waren. Nachdem die Tiere die erste Nuss gefressen hatten, spielte ein Lautsprecher aus dem Nistkasten heraus entweder Zischlaute von Meisen oder weißes Rauschen ab. Erklang das weiße Rauschen, nahmen sich alle Hörnchen eine zweite Erdnuss und fraßen sie meist nicht weit vom Fundort. Erklang hingegen das Zischen, schnappten sich überhaupt nur 6 von 14 Tieren ein zweite Nuss – und diese fraßen sie erst in einiger Entfernung zum Nistkasten.
Fazit
Die Ergebnisse der beiden Studien sprechen dafür, dass die Meisen Schlangenlaute nachahmen, um sich vor Nesträubern zu schützen. Die Wissenschaftler gehen allerdings nicht davon aus, dass diesem Verhalten ein Lernprozess oder eine besondere Denkleistung zugrunde liegt. Vielmehr vermuten sie, dass es sich um ein angeborenes Verhalten handelt, das sich im Zuge der Evolution herausgebildet hat – weil sich schlangenähnlich zischende Individuen erfolgreicher fortgepflanzt haben.
Zu den Fach-Publikationen:
Møller, A. P.; Gil, D. & Liang, W. (2021): Snake-like calls in breeding tits. Current Zoology.
Møller, A. P.; Flensted-Jensen, E. & Liang, W. (2020): Behavioral snake mimicry in breeding tits. Current Zoology.
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