Lernen durch Erfahrung bei Kohlmeisen: Geruch verletzter Pflanzen verspricht Beute

Werden Pflanzen von Insekten angefressen, verströmen sie bestimmte Duftstoffe. Kohlmeisen folgen diesem Geruch bei der Nahrungssuche – und verspeisen die unerwünschten Gäste. Eine aktuelle Studie zeigt, dass es sich dabei um ein erlerntes Verhalten handelt.

von Niklas Kästner

Suchen auf Pflanzen nach Insekten: Kohlmeisen
Suchen auf Pflanzen nach Insekten: Kohlmeisen (Foto: William C Watts via Unsplash, zugeschnitten)

Wenn Insekten sich an Pflanzen zu schaffen machen, setzen diese bestimmte Duftstoffe frei (Fachbegriff: herbivore-induced plant volatiles). Die flüchtigen Substanzen informieren entfernte Teile derselben Pflanze oder benachbarte Individuen über die Bedrohung und locken gleichzeitig Fressfeinde der Insekten an.

Zu den Tieren, die sich bei der Nahrungssuche an den Duftstoffen verletzter Pflanzen orientieren, gehören auch Kohlmeisen (Parus major). Bisher war allerdings nicht eindeutig geklärt, ob das Verhalten der Vögel angeboren ist oder ob sie erst lernen müssen, den Geruch als Hinweis auf mögliche Beute zu verstehen. Mit einem geschickten Experiment ging ein Forschungsteam um Katerina Sam und Rachakonda Sreekar dieser Frage in einer aktuellen Studie auf den Grund.

Verschiedene Erfahrungen nach dem Flüggewerden

Die Wissenschaftler*innen ließen einige Kohlmeisen direkt nach dem Flüggewerden gezielt die Erfahrung machen, dass der Duft verletzter Pflanzen auf verfügbare Beute schließen lässt. Dazu setzten sie die Vögel wiederholt in eine Voliere, in der sich zwei Baumsetzlinge befanden. Bei einem davon hatten die Forschenden zuvor Verletzungen durch Insekten imitiert, sodass er entsprechende Duftstoffe aussandte, und zusätzlich fünf Mehlwürmer an seinen Blättern befestigt. Die Meisen fanden also stets am verletzten und daher „duftenden“ Setzling Beute, aber nie am unverletzten.

Zudem setzten die Wissenschaftler*innen weitere Vögel ebenfalls mehrmals in die Voliere – allerdings ohne dass sich Baumsetzlinge darin befanden. Um die Bedingungen ansonsten möglichst vergleichbar zu halten, hatten sie auch hier jeweils fünf Mehlwürmer verteilt.

Nur erfahrene Meisen wählen verletzte Pflanzen

Als das Team die Kohlmeisen ein letztes Mal in die Voliere ließ, befand sich darin bei allen Vögeln jeweils ein verletzter und ein unverletzter Setzling – nun aber ganz ohne Mehlwürmer. Die Wissenschaftler*innen beobachteten die Meisen für 20 Minuten und notierten, wie lange sie in welcher Pflanze nach Nahrung suchten.

Das Ergebnis war eindeutig: Die Meisen, die zuvor wiederholt Mehlwürmer auf einem verletzten Setzling gefunden hatten, verbrachten dort deutlich mehr Zeit als auf dem unversehrten Setzling. Die Meisen, denen diese Erfahrung fehlte, unterschieden dagegen nicht zwischen den beiden Pflanzen.

Fazit

Das Ausgang des Versuchs zeigt, dass Kohlmeisen offenbar lernen müssen, dass die Duftstoffe beschädigter Pflanzen reiche Beute versprechen: Nur Vögel mit der Erfahrung, dass sich an verletzten Setzlingen mehr Insekten finden, hielten sich bei der Nahrungssuche bevorzugt dort auf.

Dieser Lernprozess ist anscheinend sogar spezifisch für bestimmte Pflanzenarten, wie im Versuch außerdem deutlich wurde. Die Forschenden hatten die Kohlmeisen ihre Erfahrungen jeweils mit Bergulmen- oder Erdbeer-Guaven-Setzlingen machen lassen. Anschließend ließen sie die Vögel in verschiedenen Durchgängen zwischen verletzten und unverletzten Exemplaren beider Arten wählen. Das Ergebnis: Die Meisen bevorzugten ausschließlich verletzte Exemplare der Art, mit der sie ihre Erfahrungen gemacht hatten.


Zur Fach-Publikation:
Sam, K.; Kovarova, E.; Freiberga, I.; Uthe, H.; Weinhold, A.; Jorge, L. R. & Sreekar, R. (2021): Great tits (Parus major) flexibly learn that herbivore-induced plant volatiles indicate prey location: An experimental evidence with two tree species. Ecology & Evolution.

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