Wessen Nähe nutzt mir? Dohlen treffen strategische soziale Entscheidungen

Einer aktuellen Studie zufolge suchen Dohlen verstärkt die Nähe von Artgenossen, von denen sie bei der Nahrungssuche profitieren. Das gilt aber nicht uneingeschränkt: Der Kontakt mit Brutpartnern und engen Verwandten wird von solchen kurzfristigen Vorteilen anscheinend nicht wesentlich beeinflusst.

von Niklas Kästner

In Eurasien weit verbreitet: die Dohle (Foto: Roman Klimenko via Unsplash, zugeschnitten)

Dohlen (Corvus monedula) treten selten allein auf: Die geselligen Vögel sind häufig in größeren Trupps unterwegs. Innerhalb dieser Gruppen pflegen die Tiere unterschiedlich viel Kontakt miteinander. Doch welche Faktoren beeinflussen, mit welchen Artgenossen eine Dohle besonders viel Zeit verbringt? In einer aktuellen Studie haben Forschende untersucht, ob es dabei eine Rolle spielt, inwieweit ein Vogel vom Kontakt zu einem Artgenossen profitiert.

Nützliche und weniger nützliche Artgenossen

Im Rahmen der Untersuchung führte das Team um Michael Kings und Alex Thornton ein geschicktes Experiment mit wildlebenden Dohlen im Westen Cornwalls durch, wo das Verhalten der Vögel bereits seit 2012 erforscht wird. Die Forschenden installierten dort Fütterungsstationen, die jeweils aus zwei nah beieinander liegenden Futterspendern bestanden. Saß eine Dohle an einem der Spender, während der andere unbesetzt war, gab dieser stets Körner aus. Befand sich an beiden Spendern eine Dohle, kam es darauf an:  Manche Paare erhielten stets besonders begehrte Mehlwürmer, wenn sie sich gemeinsam an der Station aufhielten – andere Paare hingegen gingen ganz leer aus.

Die Dohlen profitierten an den Fütterungsstationen also von der Nähe zu bestimmten Artgenossen, während die Nähe zu anderen Artgenossen für sie von Nachteil war. Die Umsetzung erfolgte dabei automatisiert: Die Spender erkannten die einzelnen Tiere anhand von Transpondern und gaben je nach Bedingung das entsprechende Futter frei oder blieben verschlossen.

Der Nutzen spielt eine Rolle – außer bei Partnern und engen Verwandten

Im Verlauf mehrerer Wochen erfasste das Forschungsteam, welche Vögel die Fütterungsstationen wie oft gemeinsam aufsuchten. Dabei zeigte sich: Nach einiger Zeit tauchten die Dohlen dort wesentlich häufiger mit Artgenossen auf, in deren Anwesenheit sie Mehlwürmer erhielten, als mit solchen, bei denen sie leer ausgingen.

Das galt aber nicht uneingeschränkt: So wirkte sich die unterschiedliche Fütterungsbedingung nicht darauf aus, wie oft eine Dohle gemeinsam mit ihrem Brutpartner, ihren Eltern oder ihren Geschwistern an den Futterspendern erschien. Interessanterweise sind das genau die Artgenossen, mit denen Dohlen für gewöhnlich besonders viel Kontakt haben. Auf das Verhältnis zu engen Sozialpartnern haben Vor- oder Nachteile beim Nahrungserwerb also offenbar kaum Auswirkungen.

Fazit

Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass Dohlen strategische soziale Entscheidungen treffen können: Sie suchen verstärkt die Nähe von Artgenossen, wenn diese für sie von Vorteil ist, bzw. meiden die Nähe von Artgenossen, wenn sie mit Nachteilen verbunden ist – zumindest dann, wenn sie zu ihnen keine enge soziale Beziehung pflegen.

Offen bleibt vorerst, ob sich die Erlebnisse an den Fütterungsstationen auch darauf auswirken, wie die Dohlen sich in anderen Situationen gegenüber ihren Artgenossen verhalten. Suchen die Vögel beispielsweise auch abseits der Nahrungssuche häufiger Kontakt zu Individuen, deren Nähe sich zuvor als nützlich erwiesen hat? Der von den Forschenden entwickelte experimentelle Ansatz bietet exzellente Möglichkeiten dieser Frage in zukünftigen Studien auf den Grund zu gehen.


Zur Fach-Publikation:
Kings, M.; Arbon, J. J.; McIvor, G. E.; Whitaker, M.; Radford, A. N.; Lerner, J. & Thornton, A. (2023): Wild jackdaws can selectively adjust their social associations while preserving valuable long-term relationships. Nature Communications.

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