Tintenfische beeindrucken in Experimenten mit Denkleistungen, die man ihnen lange nicht zugetraut hätte. Eine aktuelle Studie zeigt, dass sie sich selbst nach Stunden noch daran erinnern, ob sie ein Beutetier gesehen oder gerochen haben.
Tintenfische sind Weichtiere, sie gehören also zum selben Tierstamm wie Muscheln oder Schnecken. Anders als diese besitzen sie jedoch ein komplexes, zentralisiertes Nervensystem – und ein erstaunliches Lern- und Erinnerungsvermögen. Letzteres stand im Fokus einer aktuellen Studie der Forscherinnen Pauline Billard, Nicky Clayton und Christelle Jozet-Alves: Sie untersuchten, ob Tintenfische sich merken und später abrufen können, ob sie ein Beutetier gesehen oder gerochen haben.
„Sehen“ und „Riechen“ unterscheiden
In einem ersten Schritt lernten junge Gewöhnliche Tintenfische (Sepia officinalis) auf ein Schild zu reagieren, das zu ihnen ins Aquarium gestellt wurde. Näherten sie sich dem Schild, erhielten sie eine Futterbelohnung. Sobald die Tiere diese Aufgabe zuverlässig absolvierten, wurden drei verschiedene Bedingungen eingeführt.
Stets wurde etwas Wasser ins Aquarium gegeben und ein Glaszylinder hineingestellt. Je nach Bedingung gab es jedoch unterschiedliche Zusätze: In der ersten Bedingung enthielt der Zylinder einen Krebs und das Wasser keine weiteren Inhaltsstoffe („Sehen“). In der zweiten Bedingung war der Zylinder leer, aber das Wasser enthielt Duftstoffe eines Krebses („Riechen“). In der dritten Bedingung war weder ein Krebs im Zylinder noch sein Duft im Wasser („Kontrolle“).
Jede dieser Bedingungen mussten die Tintenfische mit einem von drei Schildern verknüpfen, die im Aquarium platziert wurden: Eins war mit einem Kreuz markiert, eins mit einem Pfeil und eins trug gar kein Symbol. Sahen die Tiere den Krebs (Krebs im Zylinder), mussten sie für eine Belohnung zum Schild mit dem Kreuz schwimmen. Rochen sie den Krebs (Krebs-Duft im Wasser), mussten sie für eine Belohnung zum Schild mit dem Pfeil schwimmen. Und war keins von beidem der Fall (Kontrolle), dann gab es die Belohnung am Schild ohne Symbol.
„Sehen“ oder „Riechen“ in der Erinnerung
Alle Tintenfische lernten erfolgreich, zwischen diesen drei Bedingungen zu unterscheiden. Im Anschluss daran überprüften die Wissenschaftlerinnen, ob die Tiere sich später auch daran erinnern würden, wie sie zuvor den Krebs wahrgenommen hatten. Dazu wurden die Schilder mit den Symbolen nicht mehr gleichzeitig mit dem zusätzlichen Wasser und dem Zylinder ins Aquarium eingebracht, sondern zeitverzögert. Zunächst betrug diese Verzögerung eine Stunde, in einem weiteren Durchlauf drei Stunden.
Das Ergebnis: Tatsächlich erinnerten sich die Tiere an die Darbietungsform. Auch nach einer Stunde Verzögerung schwammen alle, die den Krebs gesehen hatten, zum Kreuz, und alle, die ihn gerochen hatten, zum Pfeil. Und selbst nach drei Stunden wählten noch acht von neun Tieren das korrekte Symbol.
Lernen einer generellen Regel: Erster Versuch
Ein letzter Test sollte Aufschluss darüber geben, ob die Tintenfische die Regel „Sehen: Kreuz, Riechen: Pfeil“ auch auf eine andere Beute übertragen konnten. Dafür präsentierten die Forscherinnen ihnen ein neues Tier: Nun befand sich entweder eine Garnele im Zylinder oder ihr Duft im Wasser. Als dann allerdings später die Schilder ins Aquarium gestellt wurden, antwortete nur etwa die Hälfte der Tintenfische korrekt. Dieses Ergebnis würde man auch bei einer zufälligen Auswahl der Symbole erwarten.
Die Tintenfische konnten die Regel also nicht auf ein neues Beutetier übertragen. Sie schienen keine generelle Unterscheidung zwischen Seh- und Riechsinn gelernt zu haben, sondern bloß die konkrete Assoziation „Krebs im Zylinder: Kreuz, Krebsduft im Wasser: Pfeil“.
Lernen einer generellen Regel: Zweiter Versuch
Die Wissenschaftlerinnen gaben an diesem Punkt aber noch nicht auf, sondern führten ein weiteres Experiment durch. Bereits in der Trainingsphase lernten die Tintenfische nun schon anhand von drei verschiedenen Beutetieren zwischen den Bedingungen „Sehen“ und „Riechen“ zu unterscheiden: einem Krebs, einer Garnele und einem jungen Fisch.
Im Test wurde ihnen dann ein völlig neues Beutetier präsentiert: eine Muschel – entweder im Zylinder oder als Duft im Wasser. Im Vergleich zum vorherigen Versuch hatten die Tiere es aber etwas leichter. Denn die Schilder wurden zunächst nicht zeitverzögert, sondern gleichzeitig mit der Muschel bzw. ihrem Duft präsentiert. Tatsächlich gelang den Tintenfischen diesmal der Transfer: wenn sie die Muschel sahen, schwammen sie zum Kreuz, wenn sie sie rochen, zum Pfeil. Sie hatten nun also die generelle Regel „Sehen: Kreuz, Riechen: Pfeil“ gelernt.
Im letzten Schritt wurde auch noch der Test wiederholt, an dem die Tiere im ersten Experiment gescheitert waren: Die Kombination aus Transfer und Erinnerung. Wieder wurde ein völlig neues Beutetier präsentiert (eine Schnecke), und die Schilder wurden erst drei Stunden später ins Aquarium gestellt. Das Ergebnis: Alle Tiere schwammen zum Schild mit dem korrekten Symbol.
Fazit
Manchmal lohnt es sich, ein Experiment mit ein paar Veränderungen zu wiederholen. Dadurch konnten die Forscherinnen in dieser Studie klar zeigen: Tintenfische sind in der Lage, eine generelle Regel zur Unterscheidung zwischen Sehen und Riechen zu lernen. Und sie erinnern sich noch nach Stunden daran, mit welchem dieser Sinne sie zuvor ein Beutetier wahrgenommen haben.
Zur Fach-Publikation:
Billard, P.; Clayton, N. S. & Jozet-Alves, C. (2020): Cuttlefish retrieve whether they smelt or saw a previously encountered item. Scientific Reports 10: 5413.
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