Der Bandwurm der anderen: Infizierte Fische hemmen Fluchtreaktion gesunder Artgenossen

Der Befall mit einem Bandwurm steigert die Risikobereitschaft von Stichlingen. Das kann laut einer aktuellen Studie auch für gesunde Artgenossen Konsequenzen haben: Infizierte Fische hemmen die Ausbreitung einer Fluchtreaktion in ihrem Schwarm.

von Niklas Kästner

Dreistachlige Stichlinge sind weit verbreitet
Dreistachlige Stichlinge (Foto: Ron Offermans via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat zunehmend gezeigt, dass Parasiten nicht nur die Körperfunktionen ihrer Wirte beeinflussen können – sondern auch ihr Verhalten. Eine Infektion mit dem Bandwurm Schistocephalus solidus führt bei Dreistachligen Stichlingen (Gasterosteus aculeatus) beispielsweise zu einer geringeren Fluchtbereitschaft bei drohender Gefahr. Eine aktuelle Studie zeigt, dass das auch Konsequenzen für gesunde Artgenossen haben kann. Entdecken einzelne Fische eines Schwarms eine Bedrohung, überträgt sich deren Fluchtreaktion normalerweise auf die gesamte Gruppe. Befinden sich zentral im Schwarm allerdings infizierte Individuen, kann das die „Fluchtwelle“ unterbrechen.

Erst Krebs, dann Fisch, dann Vogel – dieser Bandwurm kommt herum

Der Bandwurm S. solidus hat ein bewegtes Leben – der Stichling ist für ihn bereits die zweite Station auf einer aufregenden Reise durch die Nahrungskette. Nachdem er in einem Gewässer aus dem Ei schlüpft, infiziert er als winzige Larve zunächst einen Ruderfußkrebs. Wird dieser von einem Stichling gefressen, wechselt der Parasit seinen Wirt und wächst im Körper des Fisches zu beachtlicher Größe heran. Doch seine Endstation erreicht S. solidus erst, wenn der Stichling wiederum von einem Vogel gefressen wird. In dessen Darm pflanzt sich der Bandwurm fort, seine Eier gelangen über den Kot der Vögel in ein Gewässer – und der Kreis schließt sich. So wird auch klar, dass der Bandwurm von der Verhaltensveränderung infizierter Fische profitiert: Sind diese weniger scheu, fallen sie schneller einem Vogel zum Opfer.

Die Studie

Ein Forschungsteam um Nicolle Demandt und Jörn Scharsack stellte sich die Frage, welche Auswirkungen das veränderte Verhalten infizierter Stichlinge auf die gesunden Mitglieder eines Schwarms hat. Um das zu untersuchen, entwarfen die Wissenschaftler*innen ein geschicktes Experiment.

Sie setzten jeweils vier Stichlinge in drei benachbarte Abteile eines Aquariums. Die Fische im ersten und dritten Abteil waren stets gesund. Bei den Fischen im zweiten, mittleren Abteil kam es auf den Durchgang an: In der Hälfte der Fälle waren sie ebenfalls gesund, in der anderen Hälfte waren sie mit S. solidus infiziert.

Nach einer Eingewöhnungsphase streuten die Forscher*innen Fischnahrung auf die Wasseroberfläche der drei Abteile. Näherten sich die Stichlinge dem Futter, erfolgte am ersten Abteil ein „Vogelangriff“ – ein künstlicher Vogelschnabel durchstieß ruckartig die Wasseroberfläche. Wichtig dabei: Die Fische in den anderen beiden Abteilen konnten zwar ihre Artgenossen sehen, nicht aber die Attacke des künstlichen Vogels. Wie würden die Stichlinge reagieren?

Das Ergebnis

Befanden sich ausschließlich gesunde Fische im Aquarium, löste der Vogelangriff eine durchgängige Fluchtwelle aus: In allen drei Abteilen floh im Schnitt die gleiche Anzahl Stichlinge von der Wasseroberfläche zum Grund des Aquariums.

Befanden sich im mittleren Abteil jedoch infizierte Stichlinge, störte das die Ausbreitung der Fluchtwelle. Während die Fische im ersten Abteil die übliche Fluchtreaktion zeigten, fiel diese bei den infizierten Fischen erwartungsgemäß geringer aus. Das wiederum beeinflusste offenbar die Fische im dritten Abteil: Auch sie verließen nun seltener den „gefährlichen“ Bereich an der Wasseroberfläche.

Fazit

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen: Fische, die von einem Bandwurm befallen sind, können durch ihr verändertes Verhalten die Fluchtreaktion gesunder Artgenossen ausbremsen. Damit liefert die Studie ein neues, beeindruckendes Beispiel für den lange übersehenen Einfluss, den Parasiten – direkt oder indirekt – auf das Verhalten von Tieren haben können.


Zur Fach-Publikation:
Demandt, N.; Praetz, M.; Kurvers, R. H. J. M.; Krause, J.; Kurtz, J. & Scharsack, J. P. (2020): Parasite infection disrupts escape behaviours in fish shoals. Proceedings of the Royal Society B 287: 20201158.

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