„Ich sehe mich als Verhaltensdolmetscherin zwischen Mensch und Hund“

Bei ihrer Arbeit orientiert sich die Hundeexpertin Kate Kitchenham an Erkenntnissen aus der Verhaltensbiologie. Wir haben mit ihr über die Bedeutung der Kommunikation zwischen Hund und Halter*in gesprochen – und darüber, warum sie nicht an pauschale Methoden glaubt.

Hat sich als Hundeexpertin einen Namen gemacht: Kate Kitchenham (Foto: Tim Kramer @tremark, zugeschnitten)

ETHOlogisch: Kate, wenn dich jemand fragen würde, was dein Beruf ist – was würdest du antworten?

Kate Kitchenham: Das werde ich tatsächlich oft gefragt – und es überfordert mich jedes Mal (lacht). Ich glaube, das Wesentliche ist Wissenschaftsjournalismus. Ich bin momentan viel als Moderatorin für Tiersendungen bei Vox im Einsatz. Ansonsten gebe ich Vorträge, halte Seminare für Hundetrainer und schreibe Bücher über Hundeverhalten bzw. Hundeerziehung – und gerade ist ja auch mein etwas allgemeineres Buch „Tierisch beste Freunde“ erschienen.1 Außerdem biete ich in meiner Heimat Lüneburg Coachings für Menschen mit Hund an.

1Mehr dazu im zweiten Teil des Interviews.

ETHOlogisch: Das klingt ziemlich vielseitig! In diesem Teil des Interviews möchten wir gern mit dir über deine Arbeit als Hundeexpertin sprechen. Du selbst hast Zoologie und Kulturanthropologie studiert und dich bereits früh mit dem Thema Hundehaltung auseinandergesetzt.

Kitchenham: Das stimmt. Schon in meiner Magisterarbeit ging es um die Frage: Warum halten wir überhaupt Hunde? Wieso leben wir mitten in der Innenstadt mit einem Hund zusammen? Ich fand das so spannend, da kein Hundehalter dem anderen gleicht. Was ist das gemeinsame Grundbedürfnis, das dahintersteht, sein Leben mit einem Hund teilen zu wollen, so viel Geld in ihn zu investieren und sein Leben komplett nach ihm auszurichten? Daraus ist dann auch mein erstes Buch entstanden: „Hundehaltung in der Stadt“.

„Ich orientiere mich an dem, was die Verhaltensforschung herausfindet“

ETHOlogisch: Inzwischen hast du mehrere Ratgeber zur Hundeerziehung bzw. Hundehaltung geschrieben. Woran orientierst du dich bei deinen Ratschlägen?

Kitchenham: Ich orientiere mich an dem, was die Verhaltensforschung herausfindet, und ich gucke mir tatsächlich auch selbst an, wie Hunde sich verhalten. Daraus ziehe ich ganz viel für meine Arbeit. Zum Beispiel folgende Szene bei einem Züchter: Eine Hündin hat Welpen bekommen und fängt gerade an, sie zu entwöhnen. Dann ist da ein zweijähriger Rüde und der ist so nett mit denen – und nebenbei erzieht er sie die ganze Zeit. Aber nicht auf diese Draufhaumethode, die man vielleicht im Hinterkopf hat, sondern lässig, cool und souverän. Sehr klar – aber dann gleich wieder nett. Und zwar nicht erst, wenn sich das Problem ausgewachsen hat und der Hund nicht mehr zur Ruhe kommt und hyperaktiv und hysterisch ist, weil niemand ihm jemals eine Grenze aufgezeigt hat. Sondern ganz am Anfang, wenn es für ihn interessant wird, Grenzen zu überschreiten.

ETHOlogisch: Du bietest auch Coachings für Hundehalter*innen an. Wie gehst du dabei vor?

Kitchenham: Ich sehe mich als Verhaltensdolmetscherin zwischen Mensch und Hund. Mir liegt am Herzen, dass der Mensch seinen Hund besser versteht – aber auch, dass er sich selbst besser versteht. Ich möchte helfen, Wege zu finden, wie Menschen sich besser mitteilen können. Körpersprachlich, aber auch emotional. Das hat sogar häufig auch positive Effekte auf andere Lebensbereiche. Es ist also vor allem eine sehr psychologische Arbeit – die aber am Ende dazu führt, dass Mensch und Hund sich besser verstehen und dadurch auch das Zusammenleben besser funktioniert.

„Das Stichwort ist Individualität“

ETHOlogisch: Der Begriff Verhaltensdolmetscherin gefällt uns. Es klingt danach, dass du keine spezielle Methode vertrittst, sondern individuell auf Hunde und Menschen eingehst.

Kitchenham: Genau so ist es: Das Stichwort ist Individualität. In erster Linie ist es ein Hund, und darüber hinaus ist es vielleicht ein Neufundländer und die haben oft bestimmte Eigenschaften. Aber über dieser Rasse steht nochmal die Persönlichkeit, der individuelle Hund. Und daneben steht ein Mensch, der komplett anders ist und ganz andere Erwartung an das Leben hat als dieser Neufundländer. Doch die gehören nun mal zusammen. Und diese beiden abzuholen und zusammenzubringen, das funktioniert nicht mit einer übergeordneten Methode. Für den einen ist es wichtig, dass der Hund super bei Fuß geht, für den anderen vielleicht nicht – weil es in seinem Leben gar nicht so eine Rolle spielt. Dann zwinge ich die auch nicht in ein bestimmtes Korsett, sondern schaue: Was ist für dieses Zusammenleben wichtig?

„Das Soziale steht im Vordergrund“

ETHOlogisch: Das klingt sehr vernünftig. Wie schätzt du die Bedeutung von Futter für die Beziehung zwischen Mensch und Hund ein?

Kitchenham: Ich bin der Meinung, dass Welpen im ersten Lebensjahr fast gar keine Leckerlis brauchen, um mit uns zusammenarbeiten zu wollen. Die sind so begeisterungsfähig, die finden alles toll, was wir machen. Irgendwann in der Pubertät gibt es Phasen, wo sie mehr hinterfragen – aber wenn man sich dann auf Futter verlässt, hat man eigentlich schon verloren. Denn was sie in diesen Momenten brauchen, ist eine soziale Antwort und keine Futterantwort. Es gibt Hunderassen wie die Herdenschutzhunde, da spielt Futter meiner Meinung nach eine größere Rolle in der Beziehung zum Menschen, aber auch bei denen steht das Soziale komplett im Vordergrund.

ETHOlogisch: In welchen Situationen können Futterbelohnungen helfen?

Kitchenham: Die kann man nutzen, um besondere Lernprozesse zu beflügeln. Das mache ich auch so. Zum Beispiel, wenn mein Hund Knox Skateboardfahren lernen soll. Da sieht er den Grund überhaupt nicht, warum man das machen sollte. In diesem Fall überrede ich ihn dazu, indem ich das richtige Verhalten mit besonderen Leckerlis bestätige. Das ist also einfach Konditionierung. Und irgendwann findet er es super und es macht ihm Spaß – dann schleiche ich die Futterbelohnung wieder aus.

„Alle Hunde kriegen das hin“

ETHOlogisch: Derzeit ist Setzzeit und dementsprechend herrscht Leinenpflicht. Häufig gibt es Probleme mit Hunden, die jagen gehen. Hast du da spezielle Tipps?

Kitchenham: Ich sage immer: Natürlich hat jeder Hund eine Jagdpassion im Blut. Aber ob die sich entwickelt oder nicht, liegt an den Erfahrungen, die er sammelt. Wenn ein Hund von Anfang an erlebt, dass Jagen Spaß macht – dann ist klar, dass er zum Jäger wird. Aber wenn man Jagen tabuisiert und drauf achtet, dass der Hund von Anfang an kein einziges positives Jagderlebnis hat, dann jagen Hunde nicht. Das ist übrigens eine Theorie, die ich ganz standfest vertrete. Da ist auch die Hunderasse für mich keine Ausrede. Bei der einen Rasse ist es schwieriger als bei der anderen. Aber alle Hunde kriegen das hin. Knox zum Beispiel ist ein Pudel-Terrier-Mischling, und ich kann mit dem durch eine Entenschar gehen, der guckt noch nicht einmal danach.

ETHOlogisch: Aber wenn der Hund einem doch mal entwischt?

Kitchenham: Meine Hündin Erna ist jetzt 16. Die hat es als junge Hündin ein paar Mal geschafft. Da hatte ich kleine Kinder und war manchmal abgelenkt. Da hat sie dann die Rehe vor mir entdeckt und die Gelegenheit sofort genutzt. Es hat ein paar Jahre gedauert und dann hatte ich es auch wieder raus. Aber klar: Es gab echt herbe Rückschläge und es hat lange gedauert, bis ich sie wieder kontrolliert ohne Leine führen konnte.

„Man muss etwas finden, das beiden richtig Freude macht“

ETHOlogisch: Zum Schluss noch eine Frage zur Beschäftigung. Hast du da bestimmte Empfehlungen?

Kitchenham: Zunächst mal finde ich es total wichtig, dass Hunde eine Auslastung kriegen. Wenn wir ihnen vieles verbieten, was ihnen Spaß macht, müssen wir ihnen im Gegenzug auch etwas bieten. Aber: Das, was wir ihnen bieten, muss sowohl ihnen als auch uns Spaß machen. Wenn Knox zum Beispiel total Spaß an Agility oder Dog Dancing hätte, aber mir würde es nicht gefallen – dann würde das nicht funktionieren. Man muss etwas finden, das beiden richtig Freude macht. Dann hat man auch einen glücklichen Hund.

Im zweiten Teil des Interviews haben wir mit Kate Kitchenham über ihr neues Buch zum Thema Tierfreundschaften gesprochen.


Zur Person: Kate Kitchenham ist 46 Jahre alt und hat in Hamburg Biologie und Kulturanthropologie studiert. Sie ist seit ihrer Studienzeit als Journalistin tätig und seit 2014 auch als Fernsehmoderatorin im Einsatz. Darüber hinaus hat Kitchenham diverse Bücher und Artikel zum Thema Hundeverhalten veröffentlicht. Im April 2021 erschien ihr Buch „Tierisch beste Freunde“, in dem sie sich mit sozialen Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Arten auseinandersetzt.

Transparenzhinweis:
Wir haben vom Verlag Droemer Knaur zwei kostenlose Rezensionsexemplare des Buchs „Tierisch beste Freunde“ von Kate Kitchenham erhalten. Das gab den Anlass, die Autorin zu interviewen, hatte aber ansonsten keinen Einfluss auf unsere Berichterstattung.

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