Erfahrungen können sich erheblich auf die Persönlichkeit eines Individuums auswirken – selbst noch im Erwachsenenalter. Eine aktuelle Studie an weiblichen Stichlingen zeigt: Der erste Kontakt mit einem Männchen verringert die Risikobereitschaft und Geselligkeit der Fische.
Wenn wir verschiedene Tiere einer Art beobachten, fallen uns bald Unterschiede zwischen den Individuen auf: Einige sind mutig, andere sind ängstlich; einige sind friedlich, andere scheinen den Streit regelrecht zu suchen; einige kommen uns hektisch vor, andere wirken tiefenentspannt. Beobachten wir die Tiere zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal, werden wir feststellen, dass diese Unterschiede nicht verschwunden sind – sie sind stabil über die Zeit. Auf der Grundlage solcher Beobachtungen wurde in den letzten Jahren wissenschaftlich bestätigt, was vielen Menschen wohl schon lange klar war: Tiere haben Persönlichkeit. Das gilt nicht nur für Säugetiere und Vögel, sondern auch für Fische und Insekten.
Die Persönlichkeit wird geformt vom Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung und den Erfahrungen während früher Lebensphasen. Mehr und mehr wird aber deutlich, dass bestimmte Erlebnisse auch noch bei erwachsenen Individuen Auswirkungen auf Persönlichkeitsmerkmale haben können. Ein aktuelles Beispiel dafür stammt aus einer Studie an Fischen: Der erste Kontakt mit einem Männchen führt bei weiblichen Stichlingen zu verringerter Risikobereitschaft und Geselligkeit.
Bestimmung der Persönlichkeitsmerkmale
Die Forscherinnen Chloé Monestier und Alison Bell bestimmten zunächst bei erwachsenen, aber jungfräulichen weiblichen Stichlingen (Gasterosteus aculeatus) drei Persönlichkeitsmerkmale. Als Maß für die Aktivität nahmen sie die Strecke auf, die die Fische während der ersten Minuten in einem neuen Aquarium zurücklegten. Ihre Risikobereitschaft ermittelten sie, indem sie nach der Gabe von Futter den Angriff eines Reihers simulierten und anschließend für fünf Minuten das Fressverhalten der Fische beobachteten: Je mehr Zeit sie trotz der Möglichkeit eines erneuten „Angriffs“ mit Fressen zubrachten, desto höher die Risikobereitschaft. Um die Geselligkeit der Tiere zu bestimmen, präsentierten die Forscherinnen den Fischen Artgenossen in einem Glaszylinder und beobachteten, wie viel Zeit sie in deren Nähe verbrachten.
Alle Tests führten die Forscherinnen mit jedem Fisch drei Mal durch. Die Unterschiede zwischen den Individuen waren stabil über die Zeit – ein wichtiges Kriterium für Persönlichkeitsmerkmale.
Einfluss der Verpaarung auf die Persönlichkeitsmerkmale
Nach dieser Verhaltenscharakterisierung warteten die Forscherinnen bis die Weibchen paarungsbereit waren und setzten sie dann für eine Weile in ein neues Aquarium. Ein Teil der Weibchen traf dort auf einen männlichen geschlechtsreifen Stichling, der andere Teil verbrachte die Zeit dort allein. Bei den Weibchen, die zu einem Männchen gesetzt wurden, kam es bei der Hälfte der Tiere zur Paarung und Eiablage. Die andere Hälfte wurde bloß von den Männchen umworben.
De facto gab es letztlich also drei Versuchs-Gruppen: Fische, die sich erfolgreich fortpflanzten; Fische, die bloß von einem Männchen umworben wurden; und Fische, die keinen Kontakt zu einem Männchen hatten. Bei allen Tieren führten die Forscherinnen anschließend erneut die Tests zur Erfassung der Persönlichkeitsmerkmale durch. Das Ergebnis: Der Grad der Aktivität blieb bei den Fischen aller Gruppen stabil. Der Kontakt mit einem Männchen hatte aber deutlichen Einfluss auf die beiden anderen Persönlichkeitsmerkmale der Stichlinge. Unabhängig davon, ob es zur Paarung gekommen war oder nicht, sank sowohl die Risikobereitschaft als auch die Geselligkeit der Weibchen mit Männchen-Kontakt. Bei den Weibchen ohne Männchen-Kontakt hingegen gab es keine Veränderung.
Fazit
Die Studie zeigt: Persönlichkeitsmerkmale von Stichlingen können auch im Erwachsenenalter noch von Erfahrungen beeinflusst werden. Zwar bleibt unklar, wie lange die beobachteten Effekte auf das Verhalten der Fische anhalten. Doch das Ergebnis ist spannend – und ein guter Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungen.
Zur Fach-Publikation:
Monestier, C & Bell, A. (2020): Personality traits change after opportunity to mate. Proceedings of the Royal Society B 287: 20192936.
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