Der längste Weg ist die unbekannte Abkürzung? Nicht für Nilflughunde!

Ganz ohne Navigationsgerät finden sich Tiere in ihrer Umgebung zurecht. Zwei aktuelle Studien wiesen überzeugend nach, dass Nilflughunde dabei sogar auf innere Landkarten zurückgreifen. Ob Tiere dazu in der Lage sind, war bisher umstritten.

von Niklas Kästner

Nilflughunde können für die Navigation auf eine mentale Landkarte zurückgreifen
Nilflughunde können zwei neuen Studien zufolge für die Navigation auf eine mentale Landkarte zurückgreifen (Foto: Lietuvos zoologijos zodas via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Meine Mutter und ich gehen gern gemeinsam im Wald spazieren. Da sie im Gegensatz zu mir sehr abenteuerlustig ist, landen wir dabei oft in uns weniger vertrauten Gefilden. Meist werde ich nach einer Weile unruhig und äußere Bedenken: Ob wir wohl jemals zum Auto zurückfinden? Meine Mutter reagiert immer gleich. Wie aus der Pistole geschossen zeigt sie mit ausgestrecktem Arm irgendwo in den dichten Wald und ruft im Brustton der Überzeugung: „Wieso? Das Auto steht da!“

Das Erstaunliche – sie liegt damit so gut wie immer richtig. Im Kopf meiner Mutter scheint sich – anders als bei mir – rasch eine innere Landkarte des Gebiets zu bilden. Sie würde ihr erlauben, auf kürzestem Weg zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Sie kann mir diese Karte sogar mit einem Stock im Waldboden aufzeichnen.

Ob auch Tiere sich mittels sogenannter „kognitiver Karten“ orientieren können, war lange umstritten. Zwei neue Studien an Nilflughunden (Rousettus aegyptiacus) im renommierten Fachmagazin Science zeigen nun überzeugend: Sie können!

Die erste Studie: Nilflughunde nehmen den direkten Weg

Nilflughunde verbringen den Tag in Höhlen und fliegen nachts aus, um Bäume aufzusuchen, von deren Früchten sie sich ernähren. Ein Forschungsteam um Sivan Toledo und Ran Nathan hat knapp 200 Tiere einer Population mit winzigen Sendern ausgestattet. So konnten sie ihre Flugrouten über vier Jahre genauestens verfolgen.

Ein wichtiges Indiz für kognitive Karten ist, dass Individuen nicht nur auf bekannten Strecken unterwegs sind, sondern auch unbekannte, direkte Wege zwischen zwei Zielen benutzen. Die Analyse der Flugrouten der Flughunde ergab: Die Tiere bewegten sich tatsächlich nicht auf bestimmten wiederkehrenden Routen oder entlang prägnanter Landmarken. Vielmehr flogen sie auf direktem Weg von Nahrungsquelle zu Nahrungsquelle – und nach dem Fressen ohne Umweg zurück zur Höhle.

Einen noch stärkeren Hinweis auf eine der Navigation zugrundeliegende kognitive Karte gab ein Experiment. Dafür fingen die Wissenschaftler*innen 22 der Tiere ein und brachten sie an den Rand ihres Streifgebiets. Würden sie Schwierigkeiten haben, in die von ihnen für die Nahrungssuche bevorzugte Gegend zurückzukehren? Keineswegs – alle Flughunde flogen zielsicher und ohne Umweg zurück.

Die zweite Studie: Nilflughunde nehmen unbekannte Abkürzungen

Diese Ergebnisse sprechen stark dafür, dass die Flughunde auf eine innere Landkarte ihrer Umgebung zurückgreifen können. Allerdings konnte das Team um Toledo und Nathan nicht hundertprozentig sicher sein, dass die direkten Strecken den Flughunde wirklich unbekannt waren – vielleicht waren sie diese ja doch bereits vor der Besenderung schon geflogen.

Hier half eine parallel veröffentliche Studie von Forscher*innen um Lee Harten und Yossi Yovel. Sie verfolgten die Flugrouten von deutlich weniger Nilflughunden – allerdings beginnend mit ihren ersten Ausflügen als Jungtiere. Dabei beobachteten sie, wie sich die Streifgebiete der Tiere ganz allmählich vergrößerten, bis sie schließlich denen von erwachsenen Tieren entsprachen. Teilweise unternahmen die Flughunde Erkundungsflüge, die sie auf Umwegen durch die Umgebung führte. Am Ende dieser Ausflüge flogen sie jedoch per Abkürzung auf direken Weg nach Hause. Und das gelang ihnen auch dann, wenn sie die Strecke niemals zuvor geflogen waren.

Fazit

Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen überzeugend, dass Nilflughunde sich anhand kognitiver Karten in ihrer Umgebung orientieren. Sie bilden sich vermutlich im frühen Leben heraus, wenn die Tiere allmählich ihr Streifgebiet vergrößern und erkunden. Die Studien machen auch deutlich, wie stark der technische Fortschritt eine Forschungsrichtung voranbringen kann: Die kontinuierliche Verfolgung von Flugrouten mit winzigen Sendern eröffnet der Verhaltensforschung völlig neue Möglichkeiten.


Zu den Fach-Publikationen:
Toledo, S.; Shohami, D.; Schiffner, I.; Lourie, E.; Orchan, Y.; Bartan, Y. & Nathan, R. (2020): Cognitive map-based navigation in wild bats revealed by a new high-throughput tracking system. Science 369: 188-139.

Harten, L.; Katz, A.; Goldshtein, A.; Handel, M. & Yovel, Y. (2020): The ontogeny of a mammalian cognitive map in the real world. Science 369: 194-197.

Weitere Literatur:
Fenton, M. B. (2020): Bats navigate with cognitive maps. Science 369: 142.

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