Bahnbrechende Entdeckung: Ameisenpuppen versorgen Larven mit milchähnlicher Nährflüssigkeit

In einer aktuellen Studie berichten Forschende von einer bisher unbekannten Rolle von Puppen im Ameisenstaat: Sie sondern eine nähstoffreiche Flüssigkeit ab, die von frisch geschlüpften Larven verzehrt wird – wodurch sich deren Überlebenschancen deutlich verbessern.

von Niklas Kästner

Adulte Ameisen der Art Ooceraea biroi haben junge Larven auf Puppen platziert (Foto: Daniel Kronauer)

In Ameisenstaaten leben Individuen verschiedener Entwicklungsstufen zusammen: Eier, Larven, Puppen und adulte – d.h. erwachsene – Tiere (Fachbegriff: Imago, Plural: Imagines). Schon lange ist bekannt, dass die adulten Tiere sich intensiv um den Nachwuchs kümmern und die Larven beispielsweise mit Nahrung versorgen. Den Puppen wurde in dieser Hinsicht bisher hingegen keine besondere Rolle zugeschrieben – ein Irrtum, wie eine aktuelle Studie von Forschenden um Onir Snirl und Daniel Kronauer eindrucksvoll belegt.

Puppen sondern Flüssigkeit ab

Als die Forschenden Puppen der Ameisenart Ooceraea biroi von ihren Artgenossen trennten, machten sie eine erstaunliche Beobachtung: In den letzten fünf Tagen ihrer Entwicklung sonderten sie eine Flüssigkeit ab, die sich in Tröpfchen auf ihrer Hülle sammelte. Beließen die Forschenden die Puppen hingegen im Ameisenstaat, waren keine Tröpfchen zu entdecken. Wie sich herausstellte, lag das allerdings nicht daran, dass sie dort keine Flüssigkeit produzieren – sondern daran, dass diese umgehend von den übrigen Ameisen aufgenommen wurde: Als die Forschenden einigen Puppen blaue Lebensmittelfarbe verabreichten, fanden sie diese nach 24 Stunden auch im Verdauungssystem sämtlicher adulter Tiere.

Milchähnliche Funktion der Puppenflüssigkeit

Und nicht nur die älteren Artgenossen nahmen die Flüssigkeit auf: Auch in jungen Larven fand das Team die blaue Farbe. Weitere Experimente zeigten, dass adulte Tiere frisch geschlüpfte Larven gezielt zu den Puppen trugen – und das selbst dann, wenn andere Nahrungsquellen zur Verfügung standen. Ein zusätzliches Experiment lässt zudem darauf schließen, dass die Aufnahme der Flüssigkeit eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der Larven spielt: Wenn während der ersten Tage nach dem Schlüpfen keine Puppen anwesend waren, wiesen sie ein eingeschränktes Wachstum und eine höhere Sterberate auf. Die Forschenden vergleichen die Funktion der Flüssigkeit deshalb mit der von Säugetiermilch – und tatsächlich ergaben chemische Analysen einen hohen Gehalt an Nährstoffen, Hormonen und weiteren bioaktiven Verbindungen.

Adulte Ameisen und junge Larven der Art Ooceraea biroi verzehren die nährstoffreiche Flüssigkeit, die von den Puppen abgesondert wird (Video: Snir et al. 2022, Nature, Lizenz: CC BY 4.0)

Puppen auf Entfernung der Flüssigkeit angewiesen

Faszinierenderweise enthüllten die Untersuchungen der Forschenden auch, dass die Puppen darauf angewiesen sind, dass die Flüssigkeit entfernt wird: Wenn das Team sie im Labor isolierte und die Flüssigkeit nicht jeden Tag abtupfte, entwickelten sich darin Pilze, welche zum Tod sämtlicher Puppen führten.

Phänomen ist unter Ameisen weitverbreitet

In einem letzten Schritt überprüften die Forschenden, ob die Produktion der besonderen Flüssigkeit auch bei anderen Ameisenarten auftritt. Dazu isolierten sie Puppen von vier weiteren Spezies aus unterschiedlichen Unterfamilien – und tatsächlich bildeten sich auf allen kleine Tröpfchen. Bei einer der Arten – Solenopsis invicta – führte das Team weiterführende Experimente durch. Und wie bei der zuvor untersuchten Art zeigte sich, dass sowohl adulte Artgenossen als auch Larven die Puppenflüssigkeit verzehrten – und dass die Puppen starben, wenn die Flüssigkeit nicht entfernt wurde.

Fazit

Die Studie enthüllt eine bisher völlig unbekannte Rolle der Puppen im komplexen sozialen Gefüge des Ameisenstaats: Sie produzieren eine nährstoffreiche Flüssigkeit, die offenbar für die Entwicklung junger Larven von großer Bedeutung ist.

Dieses Phänomen scheint nicht auf einige wenige Arten beschränkt, sondern innerhalb der Familie der Ameisen weitverbreitet zu sein. Bei den nahverwandten Honigbienen (Apis mellifera), die ebenfalls in Staaten leben, fanden die Forschenden hingegen keinen Beleg dafür: Deren Puppen produzierten getrennt von ihren Artgenossen keine sichtbare Flüssigkeit – und der Großteil von ihnen überlebte auch isoliert vom restlichen Bienenvolk bis zum Schlüpfen.


Zur Fach-Publikation:
Snir, O.; Alwaseem, H.; Heissel, S.; Sharma, A.; Valdés-Rodríguez, S.; Carroll, T. S. (…) & Kronauer, D. J. C.  (2022): The pupal moulting fluid has evolved social functions in ants. Nature.

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