Im Ameisenstaat sorgen üblicherweise nur die Königinnen für Nachwuchs. Eine aktuellen Studie an Schmalbrustameisen zeigt allerdings, dass Arbeiterinnen ihre Königin mitunter töten oder aus der Kolonie vertreiben – um anschließend eigenen Nachwuchs zu bekommen.
Ameisen sind staatenbildende Insekten, bei denen strenge Arbeitsteilung herrscht. Die Königinnen sind üblicherweise dafür verantwortlich, Eier zu legen und damit für Nachkommen zu sorgen. Die Arbeiterinnen übernehmen dagegen andere Aufgaben: Sie beschaffen Nahrung, kümmern sich um den Nachwuchs der Königinnen oder verteidigen das Nest gegen Angreifer.
Bei vielen Ameisenarten können die „Untertaninnen“ allerdings unbefruchtete Eier legen, aus denen sich Männchen entwickeln. Da eierlegende Arbeiterinnen jedoch häufig ihre sonstigen Aufgaben vernachlässigen, halten die Königinnen und andere Koloniemitglieder sie meist davon ab.
Einer aktuellen Studie zufolge haben die Arbeiterinnen der Östlichen Schmalbrustameise (Temnothorax crassispinus) eine drastische Gegenstrategie entwickelt: Sie attackieren ihre Königin, um sie zu beseitigen – und sich anschließend selbst fortzupflanzen.
Die Studie
Die winzigen Schmalbrustameisen leben in Laubwäldern Mittel- und Osteuropas und legen ihre Nester dort in herabgefallenen Eicheln oder Zweigen an. Ihre Kolonie umfasst eine einzelne Königin und wenige Dutzend bis zweihundert Arbeiterinnen.
Die Wissenschaftler*innen Julia Giehr und Jürgen Heinze untersuchten, wie lange Königinnen dieser Art ihre Stellung behaupten können. Dazu sammelten sie rund um Regensburg während der Winterruhe der Tiere insgesamt 436 Kolonien. Diese siedelten sie in künstliche Nester um, in denen die Tiere den natürlichen Klimabedingungen ausgesetzt waren. Während der folgenden sechs Wochen überprüften die Forschenden regelmäßig den Zustand der Königinnen. Zudem verfolgten sie über vier Jahre die Anzahl der Tiere und der Nachkommen in den einzelnen Kolonien.
Die Ergebnisse
Bereits sechs Wochen nach der Umsiedlung lebten 37 Prozent der Königinnen nicht mehr in ihrer jeweiligen Kolonie. Wie kam es zu diesem drastischen Rückgang? Einzelne oder mehrere Arbeiterinnen hatten ihre Königin attackiert und sie damit aus dem Nest vertrieben. Zudem hinderten sie ihre vertriebenen Königinnen aggressiv daran, wieder ins Nest zu gelangen. In einigen Fällen hatten die Arbeiterinnen sogar Gliedmaße oder den Kopf ihrer Königin abgetrennt – und sie so getötet. Dieses Verhalten trug vermutlich maßgeblich dazu bei, dass nach vier Jahren nur noch 2 Prozent der ursprünglich gesammelten Königinnen lebten.
Der Sturz der Königin hatte weitreichende Auswirkungen auf die restliche Kolonie: Innerhalb von vier Wochen nach der „Revolte“ sank die Anzahl der Arbeiterinnen und der Larven im Nest erheblich. Noch im selben Jahr legten die Kolonien ohne Königin allerdings etwa doppelt so viele Eier wie die Kolonien mit Königin. Demnach verhalf der Königinnensturz den Arbeiterinnen offenbar dazu, vermehrt selbst unbefruchtete Eier zu legen und sich damit anstelle der Königin fortzupflanzen. Weil daraus keine weiblichen Tiere entstehen, stieg der Anteil männlicher Nachkommen in Kolonien ohne Königin in der Folgezeit merklich.
Fazit
Ameisenarbeiterinnen sind gemeinhin dafür bekannt, sich „selbstlos“ in den Dienst ihrer Kolonie zu stellen. Wie die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, ist das allerdings nicht immer der Fall: Östliche Schmalbrustameisen lehnen sich gegen ihre Königin auf, um ihren eigenen Fortpflanzungserfolg zu erhöhen.
Auch ohne Königin konnten Arbeiterinnen noch mehrere Jahre überleben und Nachkommen produzieren. Da sie jedoch ausschließlich für männlichen Nachschub sorgen, leiteten sie mit dem Sturz dennoch das Ende der Kolonie ein. Denn Männchen übernehmen in der Kolonie keine Aufgaben – sobald sie erwachsen sind, verlassen sie das Nest, um sich mit Jungköniginnen zu paaren.
Zur Fach-Publikation:
Giehr, J. & Heinze, J. (2021): Queen execution in a monogynous ant. Ecology and Evolution.
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