Eingeschleppte Ratten beeinflussen Territorialverhalten von Meeresfischen

Die Ergebnisse einer aktuellen Studie verdeutlichen die komplexen Folgen, die das Einbringen gebietsfremder Arten für Ökosysteme haben kann: Auf einer Inselgruppe im Indischen Ozean wirkt sich die Anwesenheit eingeschleppter Ratten sogar auf das Leben im Meer aus.

von Niklas Kästner

Ein Exemplar der untersuchten Art Riffbarsche
Ein Riffbarsch der Art Plectroglyphidodon lacrymatus (Foto: Dr. Rachel Gunn)

Der Chagos-Archipel im Indischen Ozean ist ein wichtiger Brutplatz für unterschiedliche Seevogelarten. Auf einigen seiner Inseln ist ihre Zahl allerdings auffallend gering. Grund dafür ist, dass dort von Menschen eingeschleppte Hausratten (Rattus rattus) leben, die sowohl Eier als auch Küken erbeuten. Eine im Jahr 2018 erschienene Studie ergab, dass die Seevogeldichte auf Inseln mit Ratten beträchtliche 760-mal größer ist als auf vergleichbaren Inseln mit Ratten. Und die Nagetiere verändern einer aktuellen Untersuchung zufolge nicht nur das Leben auf den Inseln selbst – sondern auch an den sie umgebenden Riffen.

Das Verhalten von Riffbarschen vor Inseln mit und ohne Ratten

Im Rahmen einer aktuellen Studie beobachtete ein Forschungsteam um Rachel Gunn und Sally Keith das Verhalten von Riffbarschen der Art Plectroglyphidodon lacrymatus, die an Korallenriffen im Gebiet des Archipels lebten – 30 davon vor Inseln mit Ratten, 30 vor Inseln ohne Ratten. Diese Fische betreiben in ihren Territorien sogenannte Algenfarmen, die ihnen als Nahrungsgrundlage dienen und die sie vehement gegen Eindringlinge verteidigen. Dabei zeigte sich ein interessantes Muster: Die Territorien der Riffbarsche vor Inseln mit Ratten waren deutlich größer und die Fische dort verhielten sich weniger aggressiv.

Von den Ratten über den Seevogelkot zum Nährstoffgehalt der Algen

Wie lässt sich dieser bemerkenswerte Einfluss der Ratten erklären? Dabei spielt offenbar die eingangs erwähnte Dezimierung des Seevogelbestands durch die Nagetiere eine entscheidende Rolle. Denn Inhaltsstoffe aus den Vogelexkrementen werden von den Inseln ins Meer gespült – und sind wertvoller Dünger für die dort wachsenden Pflanzen. Da es auf Inseln mit Ratten deutlich weniger Seevögel gibt, gelangen an deren Küsten weniger Nährsalze ins Meer. Das wiederum macht sich den Untersuchungen der Forschenden zufolge auf den Algenfarmen der Riffbarsche bemerkbar: Die dort wachsenden Pflanzen sind weniger nahrhaft als die vor Inseln ohne Ratten. Entsprechend brauchen die Fische dort größere Flächen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken. Gleichzeitig zahlt es sich für die Tiere vermutlich weniger aus, ihre größeren Territorien von geringerer Qualität zu verteidigen, weshalb sie sich Eindringlingen gegenüber weniger aggressiv verhalten.

Fazit

Die Untersuchung offenbart eine überraschende Konsequenz der Anwesenheit eingeschleppter Ratten auf den Inseln des Chagos-Archipels: Die Nagetiere verringern den Bestand brütender Seevögel, weshalb weniger Dünger aus ihren Exkrementen in die umliegenden Riffe gelangt. In der Folge enthalten die dort wachsenden Pflanzen weniger Nähstoffe, was sich wiederum auf das Territorialverhalten von Riffbarschen auswirkt. Somit verdeutlichen die Ergebnisse der Studie einmal mehr die Komplexität der Zusammenhänge in Ökosystemen – und die weitreichenden Folgen, die menschliche Eingriffe in diese sensiblen Gefüge haben können.


Zur Fach-Publikation:
Gunn, R. L.; Benkwitt, C. E.; Graham, N. A. J.; Hartley, I. R.; Algar, A. C. & Keith, S. A. (2023): Terrestrial invasive species alter marine vertebrate behaviour. Nature Ecology & Evolution.

Weitere Literatur:
Graham, N. A. J.; Wilson, S. K.; Carr, P.; Hoey, A. S.; Jennings, S. & MacNeil, M. A. (2018): Seabirds enhance coral reef productivity and functioning in the absence of invasive rats. Nature 559: 250-253.

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