Feldwespen kümmern sich um den Nachwuchs ihrer Nachbarn

Die Arbeiterinnen mancher Feldwespenarten unterstützen benachbarte Kolonien bei der Aufzucht ihrer Nachkommen. Einer aktuelle Studie zufolge lohnt sich das, wenn es sich bei den Nachbarn um entfernte Verwandte handelt – und die Wespen dort mehr ausrichten können als im eigenen Nest.

von Tobias Zimmermann

Feldwespen am Nest
Feldwespen am Nest (Foto: Patrick Kennedy)

Die Feldwespe Polistes canadensis ist in der neotropischen Region von den Vereinigten Staaten bis Argentinien verbreitet. Sie lebt in Kolonien, die jeweils aus einer Königin und etwa 10 bis über 200 Arbeiterinnen bestehen. Letztere müssen aber nicht zwangsläufig in der Kolonie geschlüpft sein, in der sie sich aufhalten: In manchen Gebieten verrichtet über die Hälfte der Weibchen ihre Arbeit zumindest zeitweise in fremden Nestern.

Ein Team um die Wissenschaftler Patrick Kennedy und Andrew Radford ermittelte mithilfe mathematischer Modelle eine plausible Erklärung für dieses ungewöhnliche Verhalten: Wenn in einem Nest bereits viele Arbeiterinnen tätig sind, ist die Arbeit jeder einzelnen möglicherweise weniger gefragt. Deshalb könnten die Arbeiterinnen dazu übergehen, hilfsbedürftigere Kolonien zu unterstützen – wenn darin entfernte Verwandte von ihnen leben.

Beobachtungen im Freiland

Das Forschungsteam überprüfte diese Hypothese anhand von Beobachtungen im natürlichen Verbreitungsgebiet der Feldwespen in Panama. Dabei untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie die Anzahl der Arbeiterinnen den Fortpflanzungserfolg von Kolonien beeinflusst. Über 2 Monate beobachteten sie insgesamt mehr als 20.000 Brutzellen in 91 Nestern – und erfassten dabei, wie sich die darin heranwachsenden Nachkommen entwickelten. Außerdem zählten sie regelmäßig, wie viele Arbeiterinnen die einzelnen Kolonien umfassten.

Erwartungsgemäß produzierten Kolonien mit vielen Arbeiterinnen insgesamt die meisten ausgewachsenen Nachkommen. Allerdings zeigte sich: Mit zunehmender Zahl der Arbeiterinnen verlor der Beitrag der einzelnen Wespen an Bedeutung. In kleineren Kolonien erhöhte jede zusätzliche Arbeiterin den Fortpflanzungserfolg erheblich – in größeren Kolonien nur minimal.

Unter den Augen des Forschers Pieter Botha entsteht ein Feldwespennest (Foto: Pieter Botha, zugeschnitten)

Was für die Arbeiterinnen herausspringt

Den Ergebnissen zufolge kann eine einzelne Wespe tatsächlich mehr ausrichten, wenn sie eine „unterbesetzte“ Kolonie unterstützt. Doch warum sollte sie das überhaupt tun?

Aus evolutionärer Sicht ist jedes Individuum darauf bedacht, seine eigenen Gene in die folgenden Generationen weiterzugeben. Das gelingt den Arbeiterinnen allerdings nicht durch die Produktion eigener Nachkommen, denn davon hält sie die Königin ab. Stattdessen erreichen sie das Ziel auf anderem Wege: Sie helfen bei der Aufzucht der „königlichen“ Nachkommen. Dabei handelt es sich um ihre Schwestern, mit denen sie einen großen Teil ihres Erbguts teilen. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Verwandtenselektion“.

Wenn es sich bei benachbarten Kolonien um entfernte Verwandte handelt, haben die Arbeiterinnen auch mit deren Nachkommen einen Teil ihrer Gene gemeinsam. Der ist im Vergleich zu ihren Schwestern zwar geringer – aber dafür steigern sie den Aufzuchterfolg in diesen Kolonien wesentlich mehr. Weil dadurch unter dem Strich mehr Genkopien in die neue Generation übergehen, zahlt sich die Nachbarschaftshilfe für die Feldwespen daher letztlich aus.

Fazit

Die Studie liefert bemerkenswerte Erkenntnisse darüber, warum es sich für Tiere lohnen kann, nicht ihrer engsten Familie, sondern stattdessen entfernteren Verwandten zu helfen. Das Forschungsteam vermutet, dass ähnliche Mechanismen auch bei uneigennützigen Verhaltensweisen anderer Tierarten eine Rolle spielen, die sich bisher nur schwer erklären ließen.


Zur Fach-Publikation:
Kennedy, P.; Sumner, S.; Botha, P.; Welton, N. J.; Higginson, A. D. & Radford, A. N. (2021): Diminishing returns drive altruists to help extended family. Nature Ecology & Evolution.

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