…denn sie wissen, was sie tun: Hilfsbereitschaft bei Weißbüschelaffen

Weißbüschelaffen leben in kleinen Familienverbänden. Ihren Gruppenmitgliedern gegenüber verhalten sie sich äußerst kooperativ und helfen ihnen sogar uneigennützig, an Futter zu gelangen. Eine aktuelle Studie fand plausible Argumente dafür, dass diesem Verhalten tatsächlich eine Absicht zugrundeliegt.

von Niklas Kästner

Weißbüschelaffe sind hilfsbereit
Ein Weißbüschelaffe (Foto: PublicDomainPictures via Pixabay)

Wenn wir die Handlung eines Menschen bewerten, ist uns seine Absicht dahinter meist ziemlich wichtig. Wenn jemand etwas tut und dabei nur zufällig ein Vorteil für einen anderen entsteht, würden wir zum Beispiel kaum von einer guten Tat sprechen.

Während man Menschen zu ihrer Intention befragen kann, lässt sich bei Tieren gar nicht so leicht herausfinden, ob sie mit ihrem Verhalten eine Absicht verfolgen. Eine aktuelle Studie an Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) stellte sich dieser Herausforderung.

Prosoziales Verhalten bei Weißbüschelaffen

Weißbüschelaffen sind in Brasilien beheimatet. Sie leben in kleinen Familiengruppen, in denen alle Mitglieder sich an der Jungenaufzucht beteiligen. Die Tiere zeigen ein hohes Maß an sogenanntem „prosozialen Verhalten“. Das ist Verhalten, von dem andere profitieren. Zum Beispiel machen die Affen jüngere Gruppenmitglieder auf Futterquellen aufmerksam oder geben ihnen etwas von ihrer Nahrung ab. Und in Experimenten helfen sie sogar Artgenossen, an Futter zu gelangen, ohne selbst etwas davon abzubekommen.

Die Wissenschaftlerin Judith Burkart und ihr Kollege Carel van Schaik wollten wissen: Steckt hinter dieser Hilfsbereitschaft der Weißbüschelaffen tatsächlich eine Absicht? Oder handelt es sich bloß um mehr oder weniger automatisierte Verhaltensabläufe?

Um das zu untersuchen, zogen sie Daten aus der Literatur heran, führten selbst ein Experiment durch und analysierten eigene bereits durchgeführte Experimente neu. Insgesamt überprüften sie drei Kriterien für Intentionalität.

Kriterium 1: Flexibilität des Verhaltens

Ein Kriterium für eine zugrundeliegende Intention ist, dass ein Verhalten nicht starr in Folge bestimmter Reize ausgeführt wird. Es sollte vielmehr flexibel der Situation angepasst werden. In Bezug auf Weißbüschelaffen fanden Burkart und van Schaik dafür einige Belege in der Literatur.

Erwachsene Tiere bieten Jungtieren unter bestimmten Bedingungen besonders häufig Futter an: zum Beispiel, wenn die Nahrungsquelle schwer zu erreichen ist oder es sich um für die Jungtiere noch unbekannte Nahrung handelt. Sie scheinen also umso stärker auf Nahrung hinzuweisen, je nötiger das ist. Außerdem verhalten die Affen sich nicht nur unter natürlichen Bedingungen hilfsbereit, sondern auch in für sie neuen, experimentellen Situationen.

Kriterium 2: Publikums-Effekte

Ein weiteres Kriterium für Intentionalität ist, dass ein Verhalten den anwesenden Artgenossen angepasst wird. Man bezeichnet das als „Publikums-Effekt“ (Englisch: audience effect). Und auch dieses Kriterium erfüllen die Weißbüschelaffen. In der Natur geben sie bestimmte Laute von sich, um auf Futterquellen aufmerksam zu machen. Das tun sie besonders häufig in Situationen, in denen ihre Artgenossen die Futterquelle selbst nicht sehen können, oder wenn Jungtiere in der Gruppe anwesend sind. Ihr Verhalten wird also von den Anwesenden beeinflusst.

Eine andere Variante des Publikums-Effekts testete das Team für diese Studie in einem Experiment. Vor dem zweigeteilten Käfig einer Gruppe Weißbüschelaffen wurde ein langes Tablett positioniert. An der einen Seite hatte es einen Griff, und auf der anderen Seite befand sich ein Schälchen mit Futter. Der Griff war nur vom linken Abteil des Käfigs aus zugänglich, das Futter nur vom rechen.

Zunächst waren die Gruppenmitglieder auf beide Käfighälften verteilt. Nun konnten die Affen im linken Abteil das Tablett am Griff weiter an das Gitter ziehen, damit die Affen im rechten Abteil das Futter greifen konnte – wie erwartet taten sie das auch.

In manchen Durchläufen war das rechte Abteil allerdings leer. Tatsächlich hatte die Abwesenheit der Artgenossen einen Einfluss auf das Verhalten der Affen im linken Abteil: Sie zogen jetzt wesentlich seltener am Griff. Anscheinend verstanden sie, dass sowieso niemand nach dem Futter greifen konnte.

Kriterium 3: Zielgerichtetheit des Verhaltens

Das letzte Kriterium, dass Burkart und van Schaik überprüften, bezog sich darauf, ob das prosoziale Verhalten der Weißbüschelaffen zielgerichtet ausgeführt wird. Dazu werteten sie Videos von zwei bereits durchgeführten Experimenten neu aus.

In einem ersten Schritt untersuchten sie, ob das Verhalten der Affen so lange andauert, bis ein bestimmtes Ziel erreicht ist. Dafür verwendeten sie Videos von einem früheren Durchgang des im vorherigen Abschnitt beschriebenen Experiments. Was bisher nicht erwähnt wurde: Hatte ein Affe bei diesem Experiment das Tablett herangezogen und ließ den Griff los, rollte es automatisch wieder vom Käfiggitter weg. Diesen Umstand nutzten Burkart und van Schaik für die neue Auswertung. Sie beobachteten, wie lange das prosoziale Tier den Griff festhielt und das Tablett so am Zurückrollen hinderte. Es zeigte sich, dass die Affen den Griff meist genau dann losließen, wenn ein Gruppenmitglied das Futter gegriffen hatte. Wenn sich ein Tier erst dem Käfiggitter nähern musste und nicht bereits davor saß, hielt das prosoziale Tier den Griff entsprechend länger fest. Die Affen schienen also tatsächlich zielgerichtet vorzugehen.

In einem zweiten Schritt untersuchten Burkart und van Schaik, ob Weißbüschelaffen überrascht reagieren, wenn ihr prosoziales Verhalten nicht zu einem bestimmten Ergebnis führt. Das wäre ebenfalls ein Hinweis darauf, dass sie damit ein Ziel verfolgen. Dafür wurden Verhaltensdaten aus einem anderen Experiment herangezogen. Dabei konnte ein einzelner Affe von einem Versuchsabteil aus ein Tablett mit Futter zu einem Artgenossen in einem Nachbarabteil bewegen. Die Frage: Wie reagierte ein Tier in den seltenen Fällen, wenn es das Futter in die Reichweite des Artgenossen befördert hatte, dieser aber trotzdem nicht danach griff? Tatsächlich schien das prosoziale Tier überrascht: es blickte zum Artgenossen hinüber oder näherte sich dem Fenster zwischen den beiden Abteilen, um hindurchzuschauen. Diese Reaktion war umso stärker, je mehr hilfsbereites Verhalten ein Tier während des Experiments insgesamt zeigte.

Fazit

Das Verhalten der Weißbüschelaffen erfüllt also alle drei überprüften Kriterien für Intentionalität: Es ist flexibel, es wird der Anwesenheit von Artgenossen angepasst und es ist zielgerichtet. Die Studie von Burkart und van Schaik liefert somit überzeugende Argumente dafür, dass der Prosozialität der Affen tatsächlich eine Absicht zugrunde liegt. Was wir aber dennoch bedenken sollten: Obwohl alles darauf hindeutet, dass die Weißbüschelaffen „wissen, was sie tun“, wenn sie anderen helfen – was wirklich in ihren Köpfen vorgeht, bleibt letztlich ihr Geheimnis.


Zur Fach-Publikation:
Burkart, J. M. & van Schaik, C. P. (2020): Marmoset prosociality is intentional. Animal Cognition.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert