„Hühner verdienen mehr Respekt!“

Anissa Dudde hat sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Verhalten und der Lernfähigkeit von Legehennen auseinandergesetzt. Mit uns hat sie über ihre Forschung gesprochen – und darüber, warum Hühner in ihren Augen mehr Achtung verdienen.

"Hühner verdienen mehr Respekt!", findet Anissa Dudde.
Anissa Dudde bei der Arbeit (Foto: © Manfred Scharnberg)

ETHOlogisch: Anissa, magst du uns zunächst einmal erzählen, worum genau es in deiner Doktorarbeit ging?

Anissa Dudde: In meiner Doktorarbeit ging es um die Auswirkungen der intensiven Selektion von Hühnern auf Legeleistung auf ihr Verhalten.

ETHOlogisch: „Legeleistung“ heißt, wie viele Eier sie legen?

Dudde: Genau. Das sind heutzutage ungefähr 330 pro Jahr, also fast jeden Tag ein Ei. Zum Vergleich: Das Bankivahuhn, also die Stammform der Haushühner, legt etwa 8 Eier im Jahr. Das ist schon eine gewaltige Diskrepanz. In meiner Doktorarbeit habe ich untersucht, ob diese intensive Züchtung Auswirkungen auf das Verhalten hat. Unsere Annahme war, dass Tiere, die viele Eier legen, sehr viele Ressourcen dafür aufbringen und dementsprechend weniger Ressourcen für andere Verhaltensweisen haben. Vor diesem Hintergrund habe ich mir verschiedene Verhaltensbereiche angeschaut.

ETHOlogisch: Welche Verhaltensbereiche waren das?

Dudde: Soziale Motivation, Angstverhalten, motorische Fähigkeiten und – mein liebster – kognitive Fähigkeiten (= Denk- bzw. Lernleistungen, Anm. d. Red.).

ETHOlogisch: Wie sah das konkret aus? Hast du verschiedene Hühnerlinien miteinander verglichen?

Dudde: Genau. Ich hatte in meiner Doktorarbeit ein sogenanntes „Vier-Linien-Modell“: Zwei Hühnerlinien, die sehr stark auf Legeleistung selektiert wurden, und zwei Hühnerlinien, die nicht so stark auf Legeleistung selektiert wurden, aber trotzdem domestiziert sind. Das Tolle: Jeweils eine der auf Legeleistung gezüchteten und eine der nicht so stark selektierten Linien waren näher miteinander verwandt als mit den anderen Linien. Dadurch konnten wir Effekte der generellen Abstammung und konkrete Effekte der Züchtung auf Legeleistung besser auseinanderhalten als in vorherigen Studien. Das Ganze lief im Rahmen des „AdaptHuhn“-Projekts des Friedrich-Loeffler-Instituts. Ich habe mir das Verhalten angeschaut, aber es gab auch Gruppen, die die Ernährung oder die Knochenstabilität derselben Hühner untersucht haben.

„Meine Hühner hatten einen Touchscreen“

ETHOlogisch: Und welche deiner Ergebnisse haben dich am meisten überrascht?

Dudde: Am interessantesten war für mich der Lernversuch. Wir haben erwartet, dass die hochselektierten Tiere – umgangssprachlich gesagt – ein bisschen „dümmer“ sind. Also, dass sie vielleicht nicht so schnell und flexibel auf neue Umweltreize reagieren könnten wie Hühner, die nicht so stark selektiert wurden. Das konnten wir aber nicht zeigen. Im Gegenteil waren diese Tiere mindestens genauso gut oder besser.

ETHOlogisch: Wie habt ihr das getestet?

Dudde: Meine Hühner hatten einen Touchscreen und haben gelernt, darauf zu picken, um eine Futterbelohnung zu bekommen. Ein klassischer Lernversuch: Nachdem sie gelernt hatten, auf den Touchscreen zu picken, wurden ihnen zwei Symbole angezeigt, die sie unterscheiden mussten. Diese hatten unterschiedliche Farben und nur beim Picken auf eine der Farben gab es eine Belohnung. Anschließend folgte ein Umlernversuch, bei dem die am Anfang belohnte Farbe nicht mehr belohnt war, sondern genau die andere.

ETHOlogisch: Wie müssen wir uns das konkret vorstellen, wurden die Hühner einzeln getestet?

Dudde: Ja, ich habe ein Huhn aus dem Stall geholt und in eine Box mit dem Touchscreen gesetzt, pro Tag etwa 20 Minuten. Die Hühner-Probanden fanden das ganz toll, weil sie Weizenkörner bekommen haben, also anderes Futter als sonst. Die standen schon immer Schlange und wollten mitkommen.

Eine Szene aus dem Lernversuch.

„Hühner sind keine Eierlegemaschinen“

ETHOlogisch: Und du hast herausgefunden, dass Hühner trotz starker Züchtung auf Legeleistung noch ziemlich clever sind.

Dudde: Genau. Wir haben keine dummen, abgestumpften Hühner in unseren Ställen! Ich denke, das ist ein super wichtiges Ergebnis. Das sind keine Eierlegemaschinen, sondern empfindsame Tiere, die ganz sensibel auf ihre Umwelt reagieren. Da können wir uns als Gesellschaft Gedanken darüber machen, was unsere Ansprüche an die Haltung solcher Tiere sind.

ETHOlogisch: Was, denkst du, hat das Ergebnis für Konsequenzen für die Hühnerhaltung?

Dudde: Ich glaube, ganz konkret hat das leider keine.

ETHOlogisch: Anders gefragt: Was sollte es für Konsequenzen haben?

Dudde: Was ich mir wünschen würde, ist, dass die gesellschaftliche Achtung vor Hühnern steigt. Hühner verdienen mehr Respekt! Tieren, die dem Menschen nahestehen, unterstellen wir Menschen ganz schnell Emotionen oder Leidensfähigkeit. Auf der anderen Seite gibt es Tiere, bei denen es Menschen schwerer fällt, sich hineinzuversetzen. Und das ist vor allem bei Vögeln so, die zum Beispiel wenig oder keine vergleichbare Mimik zeigen.

ETHOlogisch: Allerdings hängen Denkleistung und Emotionen ja nicht zwingend zusammen. Anders gesagt: Nur weil ein Tier intelligenter ist, heißt es ja nicht, dass es mehr leidet.

Dudde: Genau, das ist ein super wichtiger Punkt. Die kognitiven Fähigkeiten sagen erstmal nichts über die Leidensfähigkeit eines Tieres aus und eigentlich auch nichts über unseren ethischen Anspruch an die Haltung dieser Tiere. Aber: Wenn wir sehen, dass ein Tier flexibel auf seine Umwelt reagiert und sehr lernfähig ist, dann sollten wir es vielleicht auch in einer ansprechenderen Umwelt halten, in der es mehr Reize erfährt.

„Es geht um ein Empowerment der Tiere“

ETHOlogisch: Sind unsere Hühner unterfordert? Brauchen sie mehr kognitive Anreicherung?

Dudde: Es geht sogar um mehr als kognitive Anreicherung, nämlich um ein Empowerment der Tiere –  dass man ihnen ermöglicht, ihre Umwelt selber zu gestalten. Das gibt es zum Beispiel in Versuchen mit Schweinen: Wenn ihnen zu warm ist, konnten sie auf einen Knopf drücken und eine Dusche anschalten. Das ist eine tolle Entwicklung. Man könnte auch Hühnern die Möglichkeit geben, durch bestimmte Aufgaben oder Anstrengungen zu einer Sandbadefläche zu gelangen, um so zum Beispiel Komfortverhalten ausführen zu können. Ich glaube, so etwas wäre eine tolle und vielleicht tiergerechtere Beschäftigung. Das gibt es ja in Ansätzen auch schon für Pferde in der privaten Haltung: In Aktivställen müssen die Tiere im Kreis laufen, wenn sie bestimmte Ressourcen, wie die Tränke, erreichen wollen.

ETHOlogisch: Das ist ein vergleichsweise neuer Gedanke. Früher dachte man, es ist optimal, wenn die Tiere alles zur freien Verfügung haben. Du würdest aber der Aussage zustimmen, dass Tiere durchaus auch kleine Herausforderungen im Alltag brauchen?

Dudde: Vielleicht jetzt nicht für die Grundbedürfnisse, aber für besondere Sachen auf jeden Fall. Ich glaube, das kommt auch mehr. Da gibt es derzeit viele Projekte zu, ich finde das einen tollen Ansatz. Gesellschaftlich befinden wir uns grade auch im Wandel, die Leute machen sich mehr Gedanken darüber, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie die Tiere gehalten werden.

ETHOlogisch: Aus deiner Warte als Hühnerforscherin – was sollten Menschen, die Eier kaufen oder Hühner halten, wissen? Worauf sollten sie achten?

Dudde: Für Menschen, die Hühnereier kaufen oder Fleischprodukte von Hühnern kaufen: Ich würde auf jeden Fall darauf achten, dass die Tiere gut gehalten werden. An die Menschen, die selber Hühner halten: Herzlichen Glückwunsch, tolle Haustiere (lacht)! Sie können versuchen, Ihren Hühnern Namen zu geben und sie darauf zu trainieren.

ETHOlogisch: Und die kommen dann, wenn man den Namen ruft?

Dudde: Genau, das kannst du trainieren. Oder du bringst ihnen bei, auf bestimmte Farben zu picken, irgendwelche Hindernisse zu überwinden oder sonstige Kunststücke zu machen. Ich würde Hühnerhaltern oder -halterinnen empfehlen, sich einen Klicker zu holen, Weizenkörner und dann den Tieren irgendwas Verrücktes beizubringen – da gibt es auch ganz viele Youtube-Videos, geht schnell und macht Spaß.

„Ich finde es toll, mit unterschätzten Tieren zu arbeiten“

ETHOlogisch: Kommen wir nun zu ein paar persönlichen Fragen. Wie bist du überhaupt zur Verhaltensbiologie gekommen? Hat dich das Thema schon immer interessiert?

Dudde: Ja, Verhalten und Neurobiologie fand ich schon immer am spannendsten. Wie aus einem Gehirn, aus so einer Masse von Zellen, komplexes Verhalten entstehen kann, oder – wie beim Menschen – Gedanken. Das finde ich super interessant. Leider wird die Verhaltensbiologie generell noch ziemlich unterschätzt. Viele Leute tun das ab als „die gucken sich Tiere an“. Dabei sind die Versuche, die man sich überlegen muss, ja durchaus sehr komplex. Man darf nicht aus seiner menschlichen Sicht heraus planen, sondern muss vom Tier ausgehen und sich fragen: Was macht für das Tier biologisch Sinn? Danach muss man den Versuch ausrichten.

ETHOlogisch: Und glaubst du, dass es in dieser Hinsicht einen Unterschied macht, ob man zum Beispiel mit Säugetieren arbeitet oder mit Vögeln?

Dudde: Ja. Ich glaube, je evolutionär weiter entfernt, desto schwieriger kann es einem fallen, sich da hineinzuversetzen. Da ist ja auch der geschichtliche Kontext interessant, also wie sich unser Verständnis von Tieren entwickelt hat. Lange hat man eher menschenähnlichen Tieren besondere Eigenschaften zugeschrieben – das hat sich inzwischen verändert.

ETHOlogisch: Und wie bist du zu den Hühnern gekommen?

Dudde: Das hätten auch andere Tiere sein können. Ich finde zum Beispiel Insekten total spannend. Insgesamt finde ich es toll, mit Tieren zu arbeiten, die noch unterschätzt sind. Dass Primaten viel können oder Delfine – das weiß man schon.

„Vielleicht mache ich eine Hundeschule in Costa Rica auf“

ETHOlogisch: Und zukünftig? Wirst du bei Hühnern bleiben oder kannst du auch vorstellen mit anderen Arten zu arbeiten?

Dudde: Also ich interessiere mich eigentlich für die allermeisten Tiere. Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich irgendein ganz verrücktes Tier nehmen, das es nur im Regenwald in Costa Rica gibt.

ETHOlogisch: Und siehst du deine berufliche Zukunft langfristig in der Forschung, oder zieht es dich eher woanders hin?

Dudde: Das kann ich aktuell nicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Wenn es im Bereich Verhaltensbiologie oder Kognitionsforschung irgendwelche Möglichkeiten gibt, auf jeden Fall. Aber der Weg in der Wissenschaft ist leider nicht sehr planbar.

ETHOlogisch: Dann fragen wir so: Wenn du nicht in der Wissenschaft bleiben würdest, was würde dich ansonsten reizen?

Dudde: Was ich spannend finde, ist die praktische Anwendung der Verhaltensbiologie, bei der man zum Beispiel Menschen hilft, die Probleme mit Ihren Tieren haben. Genauso interessant finde ich Wissenschaftskommunikation, die ich aktuell als sehr wichtig einschätze, aber da gibt es nicht so viele Stellen. Ansonsten, ich weiß nicht – vielleicht mache ich in Costa Rica eine Hundeschule oder eine Tauchschule auf (lacht).

ETHOlogisch: Wir sind am Ende unseres Interviews. Gibt es zum Schluss noch etwas, das du loswerden möchtest?

Dudde: Respect the chicken!


Foto: © Manfred Scharnberg

Zur Person: Dr. Anissa Dudde ist 31 Jahre alt, hat in Würzburg Biologie studiert und ihre Masterarbeit über das Lernverhalten von Hummeln geschrieben. Derzeit lebt sie in Celle, wo sie seit 2015 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Friedrich-Loeffler-Institut (Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit) arbeitet. Für ihre Doktorarbeit mit dem Titel „The effects of selection for egg yield on the behaviour of laying hens” wurde sie 2020 mit zwei Preisen ausgezeichnet: dem Förderpreis des Fördervereins des Friedrich-Loeffler-Instituts und dem Forschungspreis der Internationalen Gesellschaft für Nutztierforschung. Betreut wurde ihre Promotion von Prof. Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld und Prof. Dr. Lars Schrader vom Friedrich-Loeffler-Institut. Besonders eng zusammengearbeitet hat sie dabei nach eigenen Angaben mit Dr. Tobias Krause (ebenfalls Friedrich-Loeffler-Institut).


Zur Studie über die Lernleistungen der verschiedenen Hühnerlinien geht es hier:
Dudde, A.; Krause, T. E.; Matthews, L. R. & Schrader, L. (2018): More than eggs – relationship between productivity and learning in laying hens. Frontiers in psychology 9: 2000.

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