Die vierte von links – Kolibris können Blüten abzählen

Kolibris ernähren sich von Nektar. Bei der Nahrungssuche bringt es Vorteile, wenn sie sich die Position besonders ergiebiger Blüten merken. Eine aktuelle Studie an freilebenden Fuchskolibris zeigt, dass die kleinen Vögel sogar Blüten in einer Reihe abzählen können.

von Niklas Kästner

Ein Fuchskolibri. Kolibris dieser Art sind im Sommer sogar in Kanada anzutreffen
Fuchskolibris sind im Sommer sogar in Kanada anzutreffen (Foto: Avia5 via Pixabay)

Durch die Fortschritte der Verhaltensbiologie in den letzten Jahren wissen wir mittlerweile, dass nicht nur Menschen, sondern auch viele Tiere Mengen unterscheiden und sogar zählen können. In einer aktuellen Studie haben Wissenschaftler*innen um Tas Vámos und Susan Healy durch ein geschicktes Experiment nachgewiesen, dass auch freilebende Kolibris mathematische Fähigkeiten besitzen: Sie können sich die Position von Blüten durch Abzählen merken.

Die Studie

Der Fuchskolibri (Selasphorus rufus) ist der Kolibri mit dem nördlichsten Verbreitungsgebiet. Während die Vögel den Winter in Mexiko verbringen, sind sie im Sommer sogar in Kanada anzutreffen. Kurz vor der Rückkehr der Kolibris aus dem Winterquartier errichtete das Forschungsteam dort an verschiedenen Stellen Futterstellen mit Zuckerlösung. An neun dieser Stationen ließen sich männliche Fuchskolibris nieder und beanspruchten das umliegende Gebiet als ihr Revier.

Für den eigentlichen Versuch entfernten die Forscher*innen die Zuckerlösung an der Futterstation und stellten den Vögeln stattdessen künstliche Blüten bereit. An jeder Futterstelle standen zehn Blüten im Abstand von jeweils 20 Zentimetern in einer Reihe. Die erste Blüte war in direkter Nähe zur ehemaligen Futterstation positioniert – und nur sie enthielt Zuckerlösung. Die Kolibris lernten schnell, diese Blüte anzusteuern, um an die Nahrung zu gelangen.

Nun variierte das Team die Position der Blütenreihe – wies sie anfangs Richtung Süden, wurde sie nun zum Beispiel Richtung Südwesten ausgerichtet. So sollte sicher gestellt werden, dass die Kolibris sich nicht einfach den Ort der belohnten Blüte anhand von Landmarken merkten. Das Versetzen der Blüten hatte keinen Einfluss auf das Verhalten der Kolibris: Sie flogen zielsicher zur ersten Blüte in der Reihe und damit zur Belohnung.

In den weiteren Schritten des Experiments veränderte das Team die Position der Belohnung in der Reihe: Anstelle der ersten Blüte war die zweite belohnt. Das Resultat: Die Vögel lernten rasch um und steuerten überwiegend die belohnte Blüte an. Das gelang ihnen auch in diesem Fall, wenn die Wissenschaftler*innen die Ausrichtung der Blütenreihe insgesamt veränderten. Das Gleiche ließ sich beobachten, wenn anschließend die dritte oder vierte Blüte belohnt wurde.

Ein wichtiger Kontrollversuch

Aber könnte es nicht sein, dass die Kolibris nicht wirklich zählten, sondern sich jeweils einfach den Abstand der Blüte von ihrer üblichen Futterquelle merkten? Denn dieser blieb trotz der veränderten Ausrichtung der Blütenreihe in etwa gleich.  

Um das auszuschließen, führten die Wissenschaftler*innen nach dem letzten Schritt einen Kontrollversuch durch. Diesmal veränderten sie nicht die Ausrichtung der Reihe, variierten dafür aber den Abstand zwischen den Blüten: Er betrug nun nicht mehr gleichmäßig 20 Zentimeter, sondern wechselte zufällig zwischen 10, 20 oder 30 Zentimetern. Entsprechend änderte sich so auch die Distanz zwischen dem Ort der Futterstation und der vierten, zuletzt belohnten Blüte. Würden die Kolibris sie auch jetzt noch auf Anhieb finden?

Tatsächlich gelang dies den Vögeln. Sie schnitten zwar etwas schlechter ab als zuvor, steuerten die belohnte Blüte aber wesentlich häufiger an als die übrigen.

Fazit

Kolibris können die Position von Blüten also auch durch Abzählen erkennen. Die Forscher*innen vermuten, dass diese Fähigkeit den kleinen Vögeln dabei hilft, effektiv zwischen verschiedenen Nektarquellen hin- und herzunavigieren.


Zur Fach-Publikation:
Vámos, T. I. F.; Tello-Ramos, M. C.; Hurly, T. A. & Healy, S. D. (2020): Numerical ordinality in a wild nectarivore. Proceedings of the Royal Society B 287: 20201269.

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