Fit in Statistik: Rabenkrähen beherrschen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten

Rabenkrähen können einer aktuellen Studie zufolge aus ihren Erfahrungen Wahrscheinlichkeiten ableiten – und auf dieser Grundlage optimale Entscheidungen treffen. Das gelingt ihnen offenbar selbst dann, wenn die dafür relevanten Erlebnisse bereits mehrere Wochen zurückliegen.

von Niklas Kästner

Können offenbar ihre Erfolgschancen abschätzen: Rabenkrähen (Foto: Ralphs_Fotos via Pixabay; zugeschnitten)

Tiere müssen oftmals eine Wahl treffen, obwohl ihnen entscheidende Informationen nicht zur Verfügung stehen – zum Beispiel, wenn sie entscheiden, wohin sie zur Nahrungssuche aufbrechen. So gibt es vielleicht mehrere Orte, an denen sie schon einmal etwas zu Fressen gefunden haben. Doch ob sie dort bei einem erneuten Besuch fündig werden, können sie nicht wissen.

In einer solchen Situation ist es hilfreich, wenn man zumindest seine Chancen abschätzen kann. Hat ein Tier beispielsweise bei jedem fünften Besuch auf einer Wiese Nahrung gefunden, aber bei jedem dritten Besuch auf einem Acker, dann sollte es den Acker ansteuern, wenn es hungrig ist – denn dort ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Nahrungssuche abermals erfolgreich verläuft. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass Rabenkrähen (Corvus corone) tatsächlich die nötigen Voraussetzungen für diese komplexe kognitive Leistung besitzen.

Symbole mit unterschiedlicher Belohnungswahrscheinlichkeit

Im Rahmen der Studie trainierten die Forschenden Melissa Johnston, Katharina Brecht und Andreas Nieder zwei Rabenkrähen in speziellen Touchscreen-Boxen. Zunächst wurde dort immer wieder zufällig eins von neun unterschiedlichen Symbolen eingeblendet – und für die Vögel galt es, darauf zu picken, um eine Futterbelohnung zu erhalten. Diese bekamen sie aber nicht jedes Mal, sondern ja nach Symbol mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit: Wenn die Krähen auf Symbol 1 pickten, erhielten sie in zehn Prozent der Fälle eine Belohnung, bei Symbol 2 in zwanzig Prozent der Fälle – und so ging es in Zehn-Prozent-Schritten weiter bis zu Symbol 9 mit einer Belohnungswahrscheinlichkeit von 90 Prozent.

Symbole im Vergleich – Krähen wählen optimal

Nachdem die Vögel im Verlauf von anderthalb Wochen gut 5.000-mal auf eins der Symbole gepickt hatten, änderten sich die Bedingungen: Nun erschienen auf dem Bildschirm gleichzeitig zwei der Symbole in zufälligen Kombinationen und die Krähen mussten sich für eins davon entscheiden. Dabei gab es zwar keine richtige oder falsche Wahl, aber eine optimale: Wurden beispielsweise Symbol 3 und 5 eingeblendet, war es für die Krähen ratsam, auf Symbol 5 zu picken, da sie dort zuvor bessere Chancen auf eine Belohnung hatten. Wurden hingegen Symbol 5 und 7 eingeblendet, versprach Symbol 7 die besseren Aussichten.

Im Verlauf von 9 Tagen absolvierten die Krähen insgesamt rund 6.000 Durchgänge – und tatsächlich trafen sie in mehr als drei Viertel davon die optimale Wahl. Besonders faszinierend: Bei einer erneuten Testung nach einer einmonatigen Pause war ihre Leistung immer noch genauso gut.

Relative oder absolute Häufigkeit: Eine wichtige Kontrollbedingung

Dieses Ergebnis ist zweifellos beeindruckend. Allerdings lässt es allein noch keine Aussage darüber zu, ob die Krähen sich tatsächlich auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten entschieden haben. Denn da die Symbole während des Trainings etwa gleich oft gezeigt wurden, unterschied sich nicht nur die relative, sondern auch die absolute Belohnungshäufigkeit – d.h., die Krähen hatten beispielweise für das Picken auf Symbol 7 insgesamt häufiger Futter erhalten als für das Picken auf Symbol 5.

Um sicherzugehen, dass die Krähen sich in der Vergleichsbedingung nicht bloß für das Symbol entschieden, für das sie in Summe mehr Belohnungen erhalten hatten, führten die Forschenden einen Kontrollversuch durch. Dabei präsentierten sie den Vögeln in einer weiteren Trainingsphase erneut einzelne Symbole: Wenn die Krähen auf Symbol A pickten, erhielten sie in 40 Prozent der Fälle eine Belohnung, wenn sie auf Symbol B pickten, in 80 Prozent der Fälle. Allerdings wurde Symbol A doppelt so oft eingeblendet wie Symbol B – die Vögel bekamen also insgesamt für beide Symbole gleich viel Futter, während sich die Belohnungswahrscheinlichkeit unterschied.

Im nächsten Schritt galt es für die Krähen, sich für eines der beiden nun gleichzeitig eingeblendeten Symbole zu entscheiden. Das Ergebnis: Beide Vögel wählten deutlich häufiger Symbol B, bei dem sie zuvor in 80 Prozent der Fälle Futter erhalten hatten – sie berücksichtigten also tatsächlich die relative Belohnungshäufigkeit.

Fazit

Bereits vor drei Jahren beschrieben Forschende statistische Fähigkeiten bei einer Vogelart: So können Keas (Nestor notabilis) offenbar auf Basis des Verhältnisses von belohnten zu unbelohnten Gegenständen in einem Gefäß auf ihre Erfolgschancen beim Ziehen eines der Gegenstände schließen. Bei den Rabenkrähen in der aktuellen Studie lag die Herausforderung allerdings etwas anders: Sie mussten aus ihren Erfahrungen ableiten, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Picken auf ein bestimmtes Symbol belohnt wurde, um auf dieser Grundlage eine möglichst vorteilhafte Entscheidung zu treffen. Das Ergebnis des Versuchs zeigt eindrucksvoll, dass die Vögel dazu tatsächlich in der Lage sind – und dass sie sich Wahrscheinlichkeiten offenbar über eine beträchtliche Zeit merken können.


Zur Fach-Publikation:
Johnston, M.; Brecht K. F. & Nieder, A. (2023): Crows flexibly apply statistical inferences based on previous experience. Current Biology 33.

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