Vorbildlicher Vogel – Kanadakleiber lässt beim Buschfunk Vorsicht walten

Wenn der Kanadakleiber vor einem Raubvogel warnt, berücksichtigt er einer neuen Studie zufolge die Quelle seiner Information: Er unterscheidet, ob er selbst die Gefahr entdeckt hat, oder ob er bloß die Warnung anderer Vögel weitergibt.

von Niklas Kästner

Der Kanadakleiber warnt vorbildlich
Ein vorbildlicher Vogel – der Kanadakleiber (Foto: Daniel Roberts via Pixabay)

Wenn man eine Information weiterleitet, ist es durchaus ratsam, ihre Herkunft zu berücksichtigen. Hat man sie bloß irgendwo aufgeschnappt? Oder hat man selbst eine Beobachtung gemacht? In Zeiten des sekundenschnellen Teilens von Nachrichten im Internet wird das schnell vergessen. Eine neue Studie zeigt, dass ein kleiner nordamerikanischer Vogel sich beim „Retweeten“ von Gefahrenmeldungen geradezu vorbildlich verhält.

Buschfunk schützt vor Räubern

Der Kanadakleiber (Sitta canadensis) ist ein naher Verwandter des europäischen Kleibers. Im Winter schließt er sich oft Schwärmen einer nordamerikanischen Meisenart an, der Schwarzkopfmeise (Poecile atricapillus). Beide Arten produzieren Warnrufe (Englisch: mobbing calls), wenn sie eine potenzielle Gefahr entdecken, zum Beispiel einen auf einem Ast sitzenden Raubvogel. Diese Warnrufe, die auch Informationen über die Stärke der Bedrohung enthalten, werden innerhalb der Art und auch über die Artgrenze hinweg weitergegeben. So werden mehr und mehr Vögel auf die mögliche Gefahr aufmerksam, die Chance auf einen Überraschungsangriff für den Räuber sinkt und im besten Fall (jedenfalls aus Sicht der potentiellen Beute) verzieht er sich.

Das Experiment

Die Wissenschaftlerin Nora Carlson und ihre Kollegen Erick Greene und Christopher Templeton wollten herausfinden, welche Rolle es für die Kleiber beim Verbreiten einer Warnung spielt, ob sie selbst die Gefahr entdeckt haben, oder ob sie bloß den Warnruf einer Meise „weiterleiten“. Dazu spielten sie den Kleibern vier verschiedene Tonaufnahmen vor und erfassten deren Reaktion darauf. Zwei der Tonaufnahmen enthielten die Rufe von Eulen: eine Art, die den Vögeln besonders gefährlich werden kann, und eine, die eine geringere Gefahr darstellt. Zwei weitere Tonaufnahmen enthielten die Warnrufe von Schwarzkopfmeisen, die diese wiederum entweder als Reaktion auf die sehr gefährliche oder die weniger gefährliche Eule ausgestoßen hatten.

Das Ergebnis

Hörten die Kanadakleiber die Rufe der Eulen, spiegelte sich der Grad der Bedrohung in ihren Warnrufen wieder: Bei der gefährlicheren Eule riefen sie mit höherer Rate und in höherer Tonlage als bei der weniger gefährlichen. Hörten sie allerdings die Warnrufe der Schwarzkopfmeisen und gaben diese weiter, unterschieden sie nicht zwischen den Gefahrenstufen: sie riefen in beiden Fällen mit mittlerer Rufrate und in mittlerer Tonhöhe. Besonders interessant ist das insofern, als vorherige Studien gezeigt haben, dass sie die unterschiedlichen Rufe der Meisen durchaus interpretieren können. Die Kleiber scheinen also tatsächlich beim Abgeben einer Warnmeldung eine gewisse Vorsicht walten zu lassen, wenn es sich nicht um eine eigene Beobachtung handelt. Es könnte schließlich sein, dass die Meise sich getäuscht hat.

Fazit

Dieser Versuch ist ein schönes Beispiel dafür, wie wir selbst von kleinen, recht unscheinbaren Vögeln noch etwas lernen können. Bevor ich das nächste Mal jemandem etwas erzähle, das ich bloß irgendwo aufgeschnappt habe, werde ich jedenfalls kurz innehalten und mich fragen: Was würde der Kanadakleiber tun?


Zur Fach-Publikation:
Carlson, N. V.; Greene, E. & Templeton, C. N. (2020): Nuthatches vary their alarm calls based upon the source of the eavesdropped signals. Nature Communications 11: 526.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert