Tarnung durch Pflanzenduft: Braunrückige Reiszikaden nutzen pflanzliche Abwehrstoffe zum Schutz ihrer Nachkommen

Viele Pflanzen verströmen spezifische Duftstoffe als Abwehr gegen gefräßige Gäste. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Braunrückige Reiszikaden solche Abwehrstoffe geschickt ausnutzen, um ihren Nachwuchs vor Widersachern zu schützen. 

von Tobias Zimmermann

Heimat der Braunrückigen Reiszikaden: Reisterassen in China
Die Heimat der Braunrückigen Reiszikaden: Reisterassen in China (Foto: hbieser via Pixabay)

Pflanzen beherbergen für gewöhnlich eine Vielzahl unterschiedlicher Insektenarten und dienen dabei meist unfreiwillig als deren Futterquelle. Diesem Schicksal fügen sie sich allerdings nicht ohne Widerstand. Macht sich ein Pflanzenfresser an ihnen zu schaffen, verbreiten sie spezifische Duftstoffe. Diese vertreiben oftmals die ungebetenen Gäste. Manchmal rufen die Pflanzen damit aber auch Hilfe herbei: Der ausgesendete Duft lockt Fressfeinde und Parasiten der Schädlinge an.

Einer solchen Gegenwehr muss sich auch die Braunrückige Reiszikade (Nilaparvata lugens) stellen, die ihren Hunger üblicherweise an Reispflanzen (Oryza sativa) stillt und dort auch ihre Eier ablegt. Mithilfe von Duftstoffen locken befallene Pflanzen verschiedene Widersacher der gefräßigen Besucher an. Zu diesen gehört die parasitische Zwergwespe Anagrus nilaparvatae, die ihre eigenen Eier in die Eier der Zikaden legt. Während die Zikadennachkommen dadurch sterben, kann der Wespennachwuchs so in nährstoffreicher Umgebung heranwachsen.

Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass Reiszikaden bevorzugt Pflanzen besiedeln, die bereits von Raupen des Asiatischen Reisstielbohrers (Chilo suppressalis) befallen sind. In einer aktuellen Studie entdeckte ein Forschungsteam um die Wissenschaftler*innen Xiaoyun Hu, Yunhe Li und Ted Turlings, dass dies Teil einer findigen Strategie ist: Die Zikaden nutzen die Pflanzenduftstoffe, die durch die Raupen ausgelöst werden, um ihren Nachwuchs vor den Zwergwespen zu schützen.

Die Vorliebe der Zwergwespen

Zunächst untersuchten die Forscher*innen, wie die Zwergwespen auf Reispflanzen reagierten, die entweder nur von Raupen des Reisstielbohrers, nur von Reiszikaden oder von beiden Arten befallen waren. Dazu ließen sie weiblichen Zwergwespen jeweils die Wahl zwischen den abgesonderten Duftstoffen einer der präparierten Pflanzen und einer „Kontrollpflanze“, die insektenfrei war.

Der Einfluss des jeweiligen Befalls auf die Wahl der Parasiten war deutlich: Im Schnitt bevorzugten über 60 Prozent der Zwergwespen die Duftstoffe der Pflanzen, die ausschließlich von Zikaden befallen waren. Waren die Pflanzen jedoch von Raupen besetzt, entschieden sich nur etwa 30 Prozent der Zwergwespen für ihre Duftstoffe – unabhängig davon, ob sich zusätzlich Zikaden auf ihnen befanden. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Duftstoffe, die die Pflanzen als Reaktion auf den Reisstielbohrerbefall aussenden, die Anwesenheit der Zikaden vor ihren Feinden verbergen. Das würde wiederum erklären, warum die Zikaden so gerne Reispflanzen mit Reisstielbohrerraupen „teilen“.  

Braunrückige Reiszikaden (auf den Stängeln), eine Reisstielbohrerraupe (im aufgeschnittenen Stängel) und eine Zwergwespe (vergrößert) auf einer Reispflanze (Foto: Hu et al. 2020, Lizenz: CC BY 4.0)

Die Rolle der Pflanzenduftstoffe

Um die Rolle der Duftstoffe genauer zu erforschen, besetzten die Wissenschaftler*innen die Reispflanzen zunächst erneut in den verschiedenen Konstellationen mit Raupen und Zikaden. Daraufhin fingen sie die abgesonderten Gase ein und analysierten deren jeweilige Zusammensetzung. Mithilfe dieser „Rezepturen“ stellten die Forscher*innen künstliche Duftstoffe her, die sie den natürlichen Varianten der Pflanzen nachempfanden. Anschließend ließen sie die Zwergwespen jeweils zwischen einem der nachgeahmten Duftstoffe und einem neutralen „Kontrollduft“ wählen.

Das Ergebnis: Im Schnitt bevorzugten über 70 Prozent der Zwergwespen den Duftstoff „Zikaden-Befall“. Für die Varianten „Raupen-Befall“ und „Raupen-Zikaden-Befall“ entschieden sich hingegen im Schnitt jeweils weniger als 40 Prozent der Tiere. Damit erbrachte das Forschungsteam den klaren Beleg, dass es tatsächlich die abgesonderten Pflanzenduftstoffen sind, die das Verhalten der Zwergwespen beeinflussen.

Der Vorteil des gemeinsamen Befalls

Die Ergebnisse der ersten Versuche legten nahe, dass sich die Zikaden durch das Zusammenleben mit den Reisstielbohrern vor ihren Widersachern tarnen können. Aber verschafft ihnen das wirklich einen zählbaren Vorteil? Um diese Frage zu beantworten, positionierten die Wissenschaftler*innen Reispflanzen geschützt durch Insektennetze unter freiem Himmel. Während sie die Hälfte der Pflanzen mit Raupen des Reisstielbohrers besetzten, blieb die andere Hälfte verschont. Anschließend ließen sie erst die Zikaden und anschließend die Zwergwespen auf die Pflanzen los.

Zunächst gaben die Zikaden wie erwartet ein eindeutiges Votum ab: Nach drei Tagen hatten sie im Schnitt jeweils etwa 1.200 Eier auf Pflanzen gelegt, die auch von Reisstielbohrerraupen besiedelt waren. Bei den raupenfreien Pflanzen zählte das Forschungsteam im Schnitt lediglich jeweils etwa 400 Eier. Und tatsächlich brachte ihnen die direkte Nachbarschaft zu den Raupen einen deutlichen Vorteil: Auf den Pflanzen mit dem Reisstielbohrernachwuchs waren im Schnitt etwa fünf Prozent der Zikadeneier von den Zwergwespen parasitiert – auf den raupenfreien Pflanzen waren es dagegen mehr als 20 Prozent!

Fazit

Durch ihre Versuchsreihe haben die Forscher*innen ein bemerkenswert komplexes Zusammenspiel zwischen Insekten und Reispflanzen entdeckt: Braunrückige Reiszikaden nutzen die pflanzlichen Abwehrstoffe, die in Folge des Befalls durch den Asiatischen Reisstielbohrer verströmt werden, um sich und ihren Nachwuchs vor Zwergwespen zu tarnen. Das nutzt zwar den Zikaden, schadet aber den Wespen und den Reispflanzen. Entsprechend ist zu erwarten, dass die beiden betroffenen Arten Gegenstrategien entwickeln – und das evolutionäre „Wettrüsten“ weitergeht.


Zur Fach-Publikation:

Hu, X.; Su, S.; Liu, Q.; Jiao, Y.; Peng, Y.; Li, Y. & Turlings, T. C. J. (2020): Caterpillar-induced rice volatiles provide enemy-free space for the offspring of the brown planthopper. eLife9: e55421.

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