Angeborene Gesichtserkennung bei Schildkröten

Soziallebende Tiere schenken Gesichtern bereits zu Beginn ihres Lebens besondere Aufmerksamkeit. Eine aktuelle Studie zeigt: Obwohl Schildkröten ihr gesamtes Leben auf sich allein gestellt sind, haben sie ebenfalls eine angeborene Vorliebe für Gesichter.

von Tobias Zimmermann

Eine Szene aus dem Versuch: frisch geschlüpfte Schildkröten zeigen eine Präferenz für gesichtsähnliche Symbole
Eine junge Schildkröte vor einem schematisierten Gesicht (Foto: Elisabetta Versace, zugeschnitten)

Bei soziallebenden Arten, die ausgiebig für ihren Nachwuchs sorgen, richten Nachkommen ihre Aufmerksamkeit bereits zu Beginn ihres Lebens gezielt auf Gesichter – das gilt für Hühner, Affen und auch Menschen. Schildkröten sind dagegen nach dem Schlüpfen völlig auf sich allein gestellt und verbringen auch ihr späteres Leben als Einzelgänger. Dennoch haben sie einer aktuellen Studie zufolge ebenfalls eine angeborene Präferenz für Gesichter.

Die Studie

Die Wissenschaftlerinnen Elisabetta Versace, Silvia Damini und ihr Kollege Gionata Stancher untersuchten, wie frischgeschlüpfte Landschildkröten der Gattung Testudo auf schematisierte Gesichter reagierten. Dazu verwendeten sie ein erprobtes Verfahren, um eine Präferenz für gesichtsähnliche Strukturen festzustellen: In einem Testgehege präsentierten die Forschenden den Jungtieren unterschiedlich angeordnete Punkte auf ellipsenförmigen Hintergründen – darunter gesichtsähnliche Anordnungen aus einem „Augenpaar“ und einem mittig darunterliegenden Punkt sowie verschiedene Kontrollmuster. Dabei beobachtete sie, ob sich die Tiere einem bestimmten Muster bevorzugt näherten.

Die jungen Schildkröten zeigten eine klare Vorliebe für die gesichtsähnlichen Strukturen: Insgesamt zwei Drittel von ihnen näherten sich einem schematisierten Gesicht. Eine angeborene Gesichtspräferenz ist somit offenbar nicht nur soziallebenden Tieren vorbehalten, bei denen sich Eltern um ihren Nachwuchs kümmern.

Eine junge Schildkröte nähert sich einem gesichtsähnlichen Symbol (Video: Elisabetta Versace, Wiedergabegeschwindigkeit erhöht)

Fazit

Die Studie liefert einen überzeugenden Hinweis darauf, dass auch einzelgängerische Schildkröten mit einer natürlichen Vorliebe für Gesichter zur Welt kommen. Aber welchen Vorteil haben sie dadurch? Die Autor*innen der Studie vermuten, dass die Jungtiere auf diese Weise andere Tiere bereits früh im Leben erkennen. Diese liefern oftmals wichtige Informationen über die Umwelt – zum Beispiel, wo Futter oder Rückzugsorte zu finden sind.


Zur Fach-Publikation:
Versace, E.; Damini, S. & Stancher, G. (2020): Early preference for face-like stimuli in solitary species as revealed by tortoise hatchlings. Proceedings of the National Academy of Sciences.

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