Wenn drei sich streiten, freut sich der Schildkrötennachwuchs

Forschende berichten in einer aktuellen Studie von einem komplexen Zusammenspiel: Auf einer Insel vor Taiwan beobachteten sie, dass ein großer Teil des Nachwuchses Grüner Meeresschildkröten von Eierdieben verschont blieb – und das offenbar, weil diese sich gegenseitig gefährlich wurden.

von Niklas Kästner

Grüne Meeresschildkröten legen Eier an den Stränden von Lan Yu
Eine Grüne Meeresschildkröte (Foto: National Marine Sanctuaries via Flickr, gemeinfrei, zugeschnitten)

An den Stränden der Insel Lan Yu vor der Küste Taiwans vergraben Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) ihre Gelege. Das lockt verschiedene Tierarten an, für die Reptilieneier eine willkommene Mahlzeit darstellen: Wanderratten (Rattus norvegicus), Gekielte Kletternattern (Elaphe carinata) und Kukrischlangen (Oligodon formosanus).

Trotz der großen Zahl der Fressfeinde fielen diesen in der Vergangenheit erstaunlich wenige der vergrabenen Eier zum Opfer. Wie lässt sich das erklären? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie legen nahe, dass der Schildkrötennachwuchs davon profitierte, dass die potenziellen Nesträuber es teilweise aufeinander abgesehen hatten.

Eintreffen der Fressfeinde nach der Eiablage

Ein Forschungsteam um Chen-Pan Liao, Jung-Ya Hsu und Wen-San Huang beobachtete zwischen 1997 und 2007 jedes Jahr die Eiablage der Meeresschildkröten. Dabei bemerkten sie ein auffälliges Muster: Die Ratten trafen nach dem Verschwinden der Schildkröten stets als erste ein. Allerdings sahen die Wissenschaftler*innen sie nie nach Gelegen buddeln – sie fraßen nur Eier, die durch das Graben später eintreffender Schildkröten an die Oberfläche befördert worden waren.

Die Kukrischlangen, die nach den Ratten ankamen, begannen hingegen umgehend damit, im Sand zu wühlen. Doch nicht alle gelangten ans Ziel – manche fielen den kurz darauf auftauchenden Kletternattern zum Opfer.

Eine Gekielte Kletternatter (Foto: Allentchang via Wiki Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0, zugeschnitten)

Interaktionen zwischen Fressfeinden schützen Schildkröteneier

In einer Reihe von Experimenten untersuchten die Foscher*innen die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Arten. Sie stellten fest, dass die Kletternattern Jagd auf Ratten machen – und sie bei Verfügbarkeit sogar ihrer Hauptbeute, den Kukrischlangen, vorziehen. Das erklärt vermutlich, warum die Ratten am Strand lieber den Kopf in der Luft und damit die Übersicht behielten – und beim Erscheinen der ersten Schlangen verschwanden.

Auch die Kletternattern gruben nicht nach den Schildkröteneiern. Dafür fanden die Wissenschaftler*innen gleich zwei Gründe: Zum einen tummelten sich am Strand genug Kukrischlangen als Beute, und zum anderen neigen Kletternattern zum Kannibalismus – auch für sie könnte es also fatale Folgen haben, den Kopf in den Sand zu stecken.

Und wieso setzten die Kukrischlangen sich dieser Gefahr aus? Sie wühlten die Eier nie an die Oberfläche, sondern buddelten sich direkt in ein Schildkrötennest hinein. Gelang ihnen das, waren sie dort vor den Angriffen der Kletternattern geschützt – und hatten deutlich mehr Eier zur Verfügung als sie fressen konnten. Die Forscher*innen gehen davon aus, dass der große Nutzen bei erfolgreichem Eingraben das Risiko eines Angriffs aufwog.

Fazit

Die Studie liefert eine überzeugende Erklärung dafür, warum ein Großteil des Schildkrötennachwuchses trotz zahlreicher möglicher Eierdiebe verschont blieb. Da die Nester der Meeresschildkröten seit 2008 zu ihrem Schutz ausgegraben und an einen sicheren Ort gebracht werden, gehört das Phänomen mittlerweile der Vergangenheit an. Dennoch ist es ein faszinierendes Beispiel dafür, dass mehr Feinde nicht zwangsläufig mehr Gefahr bedeuten müssen – zumindest dann nicht, wenn sie einander gegenseitig bedrohen.


Zur Fach-Publikation:
Liao, C.-P.; Hsu, J.-Y.; Huang, S.-P.; Clark, R. W.; Lin, J.-W.; Tseng, H.-Y. & Huang, W.-S. (2021): Sum of fears among intraguild predators drives the survival of green sea turtle (Chelonia mydas) eggs. Proceedings of the Royal Society B 288: 20202631.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert