Verbreitung einer innovativen Jagdtechnik: Schnecken-Schütteln bei Delfinen

Manche Delfine heben große Schneckenhäuser vom Meeresgrund über die Wasseroberfläche und schütteln sie, sodass sich darin aufhaltende Fische ihnen direkt in den Rachen fallen. In eine aktuellen Studie haben Forschende untersucht, wie sich diese innovative Technik ausbreitet.

von Niklas Kästner

Warum Delfine Schnecken schütteln – und vom wem sie es lernen (Video und Foto: Sonja Wild – Dolphin Innovation Project; animierte Filmsequenz: Sonja Wild; geschnitten und mit Erläuterungen versehen von ETHOlogisch)

In der west-australischen Shark Bay lebt eine Population Indopazifischer Großer Tümmler (Tursiops aduncus), die seit vielen Jahren von Wissenschaftler*innen erforscht wird. Die Tiere fallen immer wieder durch innovative Techniken bei der Ernährung auf. Einige von ihnen tragen zum Beispiel während der Futtersuche am harten Meeresboden Schwämme im Maul, um sich vor Verletzungen zu schützen.

Vor einigen Jahren wurde eine weitere interessante Verhaltens-Innovation entdeckt: Manche Tümmler wurden dabei beobachtet, wie sie riesige Schneckenhäuser vom Meeresgrund aufhoben und sie an die Wasseroberfläche brachten. Dort hielten sie die Häuser in die Luft und schüttelten sie. Zunächst gab dieses Verhalten Wissenschaftler*innen Rätsel auf. Dann erkannten sie, dass in den Häusern keine Schnecken mehr lebten. Dafür befanden sich darin Fische, die dort anscheinend Schutz suchten – und den Delfinen durch das Schütteln direkt in den Rachen fielen. Es handelt sich bei dem Verhalten also um eine clevere Jagdtechnik.

Wege der Verbreitung von Innovationen

Wie verbreiten sich solche innovativen Verhaltensweisen in einer Population? Diesbezüglich lassen sich verschiedene Wege unterscheiden. Sehr häufig geschieht dies, indem Jungtiere sie von ihren Eltern lernen – man spricht von vertikaler Weitergabe (entsprechend der Richtung im Stammbaum). Das gilt zum Beispiel für die „Schwammnutzung“: Junge Delfine lernen sie meist von ihren Müttern. Es gibt aber auch Fälle, in denen Tiere eine bestimmte Technik von Artgenossen erlernen, die nicht ihre Eltern sind. Handelt es sich um Angehörige der gleichen Generation, bezeichnet man dies als horizontale Weitergabe, ansonsten spricht von schräger Weitergabe (Englisch: oblique).

Die Studie

Ein Forschungsteam um die Wissenschaftler*innen Sonja Wild und Michael Krützen hat sich in einer aktuellen Studie genauer angeschaut, wie sich das Schnecken-Schütteln innerhalb der Population der Delfine in der Shark Bay ausbreitete. Zwischen 2007 und 2018 gelang es ihnen insgesamt 42 Mal, einen Tümmler beim Einsatz dieser Methode zu beobachten.

Wild und ihr Team erfassten nicht nur, welche Delfine die Jagdtechnik einsetzten. Sie sammelten auch Daten über die sozialen Strukturen in der Population und analysierten die Verwandtschaftsverhältnisse. Mittels mathematischer Modelle berechneten sie anhand dieser Daten, wie sich das Schnecken-Schütteln verbreitet. Das Ergebnis: Die Tümmler lernen die Jagdtechnik mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem von ihren Gefährten – und nicht auf vertikalem Wege von ihren Eltern.

Fazit

Das Ergebnis der Studie ist bemerkenswert: Es ist das erste Mal, dass eine horizontale bzw. schräge Weitergabe einer Ernährungsmethode bei Zahnwalen nachgewiesen wurde. Die nicht-vertikale Verbreitung von Innovationen kennt man sonst vor allem von einer anderen sehr sozialen und intelligenten Tiergruppe: den Menschenaffen.


Zur Fach-Publikation:
Wild, S.; Hoppitt, W. J. E.; Allen, S. J. & Krützen, M. (2020): Integrating Genetic, Environmental, and Social Networks to Reveal Transmission Pathways of a Dolphin Foraging Innovation. Current Biology 30: 1-7.

Weitere Literatur:
Allen, S. J.; Bejder, L. & Krützen, M. (2020): Why do Indo-Pacific bottlenose dolphins (Tursiops sp.) carry conchshells (Turbinella sp.) in Shark Bay, Western Australia? Marine Mammal Science 27: 449-454.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert