Keine Reaktion auf unplausible Notrufe: Fledermäuse lassen sich nicht so leicht täuschen

In einer aktuellen Studie spielte ein Forschungsteam Großen Sackflügelfledermäusen aus einem Lautsprecher Notrufe eines Artgenossen vor. Darauf reagierten die Tiere, wenn dieses Individuum gerade abwesend war – aber nicht, wenn es sich in ihrer Nähe aufhielt.

von Niklas Kästner

Eine rufende junge Große Sackflügelfledermaus (Foto: Michael Stifter)

Große Sackflügelfledermäuse (Saccopteryx bilineata) sind in Mittel- und Südamerika beheimatet und gehen nachts für gewöhnlich allein auf Insektenjagd. Tagsüber hingegen sind sie wesentlich geselliger: So ruhen oft Dutzende der Tiere gemeinsam an großen Bäumen oder an Hauswänden.

Gerät eine Große Sackflügelfledermaus in Gefahr, beispielsweise weil sie von einem Fressfeind angegriffen wird, dann stößt sie bestimmte Laute aus, die in der Fachliteratur als „distress calls“, also etwa als Notrufe, bezeichnet werden. Ihre Sozialpartner reagieren auf diese Laute, indem sie sich dem rufenden Tier nähern. Die Bedeutung dieses Verhaltens ist dabei noch nicht eindeutig geklärt: So geht man davon aus, dass die auf die Notrufe reagierenden Fledermäuse sich einen Eindruck von der Situation verschaffen wollen, um daraus etwas über mögliche Gefahren in der Umgebung zu lernen. Es ist aber auch denkbar, dass ihr Auftauchen mitunter die angreifenden Fressfeinde ablenkt und so die Chancen erhöht, dass das rufende Tier sich noch retten kann.

Notrufe mit charakteristischem Klang

Im Rahmen einer aktuellen Untersuchung fragten sich die Forschenden Mirjam Knörnschild, Martina Nagy und Danilo Russo, ob die Fledermäuse allein am Klang der Notrufe erkennen können, welcher ihrer Artgenossen diese gerade ausstößt. Dazu analysierten sie mithilfe von Computerprogrammen zunächst über 500 Laute von insgesamt zehn Individuen, die sie aufgenommen hatten, als sie die Tiere mit Netzen einfingen. Und in der Tat stießen sie dabei auf charakteristische akustische Merkmale, die eine recht eindeutige Zuordnung eines Notrufs zu einer bestimmten Fledermaus erlauben würden.

Diese Sackflügelfledermaus erzeugt die als „distress calls“ bezeichneten Notrufe, bevor sie auffliegt (Video: Michael Stifter)

Unplausible und plausible Notrufe

Dass die prinzipielle Möglichkeit besteht, die Rufe verschiedener Individuen an ihrem Klang zu unterscheiden, bedeutet allerdings noch nicht, dass die Fledermäuse auch wirklich dazu in der Lage sind. Um herauszufinden, inwieweit das der Fall ist, führten die Forschenden in einem zweiten Schritt ein Experiment mit acht wildlebenden Gruppen Großer Sackflügelfledermäuse durch. Diese bestehen üblicherweise aus einem Männchen und mehreren Weibchen, zu denen manchmal männliche Junggesellen und – wie zum Zeitpunkt der Untersuchung – die Nachkommen des entsprechenden Jahres hinzukommen.

Jeder Gruppe spielten die Forschenden zweimal im Abstand von mehreren Stunden Notrufe eines solchen heranwachsenden Tieres vor, wobei sie den Lautsprecher außer Sichtweite der Fledermäuse aufstellten. In einem Fall befand sich der Urheber der Rufe währenddessen gerade nicht in der Kolonie, im zweiten Fall war er anwesend (dafür fehlte aber ein anderes Tier, um vergleichbare Bedingungen zu schaffen). Das Team erschuf also entweder eine plausible Situation, bei der die Fledermäuse aus dem Lautsprecher Notrufe eines abwesenden Individuums hörten, und eine unplausible Situation, bei der die Fledermäuse aus dem Lautsprecher Notrufe eines anwesenden Individuums hörten. Wie würden die Tiere darauf reagieren?

Keine Reaktion auf unplausible Notrufe

Die Ergebnisse des Experiments waren beeindruckend deutlich. Wenn die Forschenden Notrufe eines Individuums abspielten, das sich gerade nicht in der Kolonie befand, näherte sich stets mindestens eine Fledermaus dem Lautsprecher – und oftmals sogar mehrere. Befand sich der Urheber der abgespielten Rufe jedoch in der Kolonie, fiel die Reaktion ganz anders aus: In keinem Fall näherte sich auch nur ein einziges Tier dem Lautsprecher an.

Fazit

Den Ergebnissen der Untersuchung zufolge können Große Sackflügelmäuse offenbar allein am Klang eines Notrufs erkennen, welcher ihrer Sozialpartner diesen ausgestoßen hat. So reagierten sie nur dann auf Laute außerhalb ihres Sichtfelds, wenn das rufende Tier gerade nicht anwesend war, aber nicht, wenn es sich in ihrer Nähe befand und sie demzufolge ausschließen konnten, dass es in Not war. Dabei trauten sie bei sich widersprechenden Sinneseindrücken offenbar ihren Augen bzw. ihrem Geruchssinn mehr als ihren Ohren – und ließen sich nicht täuschen, wenn die Forschenden ein unplausibles Szenario kreierten.


Um Lautäußerungen Großer Sackflügelfledermäuse geht es auch in den folgenden Artikeln:
Junge Fledermäuse brabbeln wie Säuglinge
„Babysprache“ bei Tieren: Wenn Fledermausmütter mit ihren Jungen kommunizieren, ändert sich ihre Stimmfarbe.

Woher die Große Sackflügelfledermaus ihren Namen hat, erklärt die Fledermaus-Forscherin Ahana Fernandez in folgendem Video-Beitrag:
„Männliche Sackflügelfledermäuse sind wahnsinnig große Charmeure“

Zur Fach-Publikation:
Knörnschild, M.; Nagy, M. und Russo, D. (2025): Bats resolve conflicting sensory information for individual recognition. Current Biology.

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