In einer wildlebenden Kapuzineraffen-Gruppe hat sich ein erstaunliches Verhalten ausgebreitet: Die Tiere tragen tagelang Jungtiere von Brüllaffen mit sich. Dabei könnte es sich um eine Art „Trend“ unter den heranwachsenden Männchen handeln – mit bitteren Folgen für die betroffenen Brüllaffen.

Auf der mittelamerikanischen Insel Jicarón lebt eine Population von Panama-Kapuzineraffen (Cebus capucinus imitator), die bereits seit Längerem von Forschenden untersucht wird. Grund dafür war ursprünglich der Werkzeuggebrauch der Tiere: So setzen sie Steine als Hammer und Amboss ein, um die harte Schale von Früchten oder den Panzer von Krebstieren zu durchbrechen. Doch nun stieß ein Team um Zoë Goldsborough und Brendan Barrett auf ein völlig unerwartetes Verhalten, das zuvor noch nie jemand beobachtet hatte.
Ein verblüffendes Verhalten breitet sich aus
Bei der Auswertung von Aufnahmen aus Kamerafallen entdeckten die Forschenden ein heranwachsendes Männchen, das mehrere Tage lang einen jungen Coiba-Brüllaffen (Alouatta palliata coibensis) mit sich trug. Als sie weitere Videos durchforsteten, stellten sie fest, dass es sich dabei keineswegs um einen Einzelfall handelte: Im Verlauf von vier Monaten führte das Männchen insgesamt vier unterschiedliche Jungtiere mit sich. Noch verblüffender war allerdings, was sich einige Monate darauf beobachten ließ: Das Team erspähte vier weitere junge Männchen mit insgesamt sieben verschiedenen Brüllaffen-Jungen. Das Verhalten breitete sich demnach offenbar in der Kapuzineraffen-Gruppe aus.
Entführung statt Adoption
Was steckt hinter diesem erstaunlichen Phänomen? Es kommt manchmal vor, dass sich Tiere um verwaiste Jungtiere kümmern – mitunter auch über Artgrenzen hinweg. Könnte es also sein, dass die Kapuzineraffen verlassene Brüllaffen-Jungtiere adoptiert haben?
Das ist allein schon wegen der hohen Zahl der Fälle sehr unwahrscheinlich. Hinzu kommt: Die Forschenden hörten auf den Aufnahmen, wie erwachsene Brüllaffen über lange Zeit nach den Jungtieren riefen. Mitunter versuchten Letztere auch, den Kapuzineraffen zu entkommen, die sie allerdings daran hinderten. Diese Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die Kapuzineraffen den Brüllaffennachwuchs entführen, um ihn dann mit sich zu tragen. Doch warum tun sie das?
Das Tragen fremder Jungtiere als „Modeerscheinung“?
Tiere können erheblich davon profitieren, wenn sie sich vorteilhafte Verhaltensweisen von ihren Artgenossen abschauen. Über die Zeit können sich dadurch in sozialen Gruppen sogar bestimmte Verhaltenstradition ausbilden – wie auch der Einsatz der Werkzeuge bei den Kapuzineraffen. Mitunter kommt es jedoch auch vor, dass Tiere Verhaltensweisen von anderen übernehmen, die keine bestimmte Funktion erfüllen.
In einer Studie aus dem Jahr 2014 beschrieben Forschende etwa, wie ein Schimpansenweibchen damit begann, sich regelmäßig einen Grashalm ins Ohr zu stecken und dort mit sich herumtrug. Dieses Verhalten bot offensichtlich keinerlei Vorteil, dennoch trat es kurz darauf bei immer mehr Tieren der Gruppe auf; es war offenbar zu einer Art „Mode“ geworden.
Auch das Tragen des Brüllaffen-Nachwuchses scheint keinen Nutzen für die Kapuzineraffen zu haben. Daher vermuten die Forschenden, dass es sich um eine vergleichbare Modeerscheinung handeln könnte.
Ursprung der Tradition
Möglicherweise hat der Begründer der Tradition ursprünglich aus fehlgeleitetem Fürsorgeverhalten gehandelt – und seine Altersgenossen haben das Verhalten dann einfach übernommen. Dazu passt eine weitere Beobachtung der Forschenden: Der erste Kapuzineraffe, den sie beim Tragen von Brüllaffenjungen entdeckten, verhielt sich diesen gegenüber vergleichsweise freundlich. Das galt jedoch nicht für die Tiere, die das Team später mit fremdem Nachwuchs beobachtete.
Fazit
Einiges spricht dafür, dass es sich bei den Entführungen durch die Kapuzineraffen auf Jicarón um eine Art „Trend“ handelt, den sich die Tiere sich voneinander abschauen, ohne dass es für sie nennenswerte Vorteile hat. Den Forschenden zufolge könnte das Leben auf der Insel begünstigt haben, dass diese außergewöhnliche Tradition entstanden ist. Denn für die Kapuzineraffen gibt es dort keine Fressfeinde und ausreichend Nahrung – wodurch sie vermutlich außergewöhnlich viel Zeit und Energie haben.
Was immer hinter der verblüffenden Verhaltenstradition der Kapuzineraffen steckt: Sie bedeutet für die entführten Brüllaffen beträchtliches Leid. Denn sie werden von ihren Müttern getrennt und erhalten dadurch keine Milch mehr. Entsprechend beobachtete das Forschungsteam auf den Aufnahmen, wie die Jungtiere von Tag zu Tag immer schwächer wurden – was in mindestens vier Fällen letztlich ihren Tod zur Folge hatte.
Zur aktuellen Fach-Publikation:
Goldsborough, Z.; Crofoot, M. C.; Jacobson, O. T.; Corewyn, L.; del Rosario-Vargas, E.; León, J. & Barrett, B. J. (2025): Rise and spread of a social tradition of interspecies abduction. Current Biology.
Weitere Literatur:
Barrett, B. J.; Monteza-Moreno, C. M.; Dogandžić, T.; Zwyns, N.; Ibáñez, A. & Crofoot, M. C. (2018): Habitual stone-tool-aided extractive foraging in white-faced capuchins, Cebus capucinus. Royal Society Open Science 5(8).
van Leeuwen, E. J.; Cronin, K. A. & Haun, D. B. (2014): A group-specific arbitrary tradition in chimpanzees (Pan troglodytes). Animal Cognition 17(6).
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