La Ola unter Wasser: Außergewöhnliches Schwarmverhalten schützt Schwefelmollys vor Vogelattacken

Schwefelmollys verbringen viel Zeit direkt unter der Wasseroberfläche. Wird ein Schwarm von einem Vogel attackiert, durchlaufen ihn auffällige, pulsierende Wellen – was den Fischen einer aktuellen Studie zufolge mehr Zeit bis zum nächsten Angriff verschafft.

von Niklas Kästner

Ein Grünfischer hat erfolgreich nach Beute gefischt.
Ein Grünfischer hat erfolgreich nach Beute gefischt (Foto: Juliane Lukas, Lizenz: CC BY-SA, zugeschnitten)

Schwefelmollys (Poecilia sulphuraria) sind kleine mexikanische Süßwasserfische, die sich an eine besondere Umwelt angepasst haben: Sie leben in Schwefelquellen. Da der Sauerstoffgehalt in den sulfidreichen Gewässern extrem gering ist, verbringen die in dichten Schwärmen lebenden Fische viel Zeit an der Wasseroberfläche, wo sie atmosphärischen Sauerstoff atmen. Dadurch bilden sich regelrechte Teppiche aus Schwefelmollys – die ein verlockendes Nahrungsangebot für verschiedene fischfressende Vögel darstellen.

Forschende sind jüngst auf ein bemerkenswertes Phänomen aufmerksam geworden, dass sich beobachten lässt, wenn ein Beutegreifer zuschlägt: Ausgehend vom Ort des Angriffs breitet sich eine Bewegung im Schwarm aus, die einer La Ola im Stadion gleicht. Sie entsteht dadurch, dass die einzelnen Fische nacheinander schnell nach unten schwimmen und dann wieder aufsteigen – und läuft oft mehrere Male über die Wasseroberfläche. In einer aktuellen Studie hat ein Team um Carolina Doran und Jens Krause dieses Verhalten genauer unter die Lupe genommen.

Beobachtung der pulsierenden Wellen

Die Forschenden errichteten über einem von Schwefelquellen gespeisten Fluss mehrere Ansitzmöglichkeiten für Vögel. Dort nahmen häufig zwei Arten Platz, die Jagd auf Schwefelmollys machen: Grünfischer (Chloroceryle americana) und Schwefelmaskentyrannen (Pitangus sulphuratus). Diese Arten unterscheiden sich in ihrer Jagdtechnik: Während die zu den Eisvögeln gehörenden Grünfischer mit ihrem Körper ins Wasser eintauchen, durchbrechen die Tyrannen die Wasseroberfläche lediglich mit ihrem Schnabel.

Das wirkt sich offenbar unterschiedlich auf die Mollys aus: Während sich nach einer Grünfischer-Attacke bis zu 22 Wellen in den Schwärmen ausbreiteten, blieb es nach einer Tyrannen-Attacke meist bei einer einzigen. Interessanterweise beeinflussten die Wellenbewegungen das Verhalten der Jäger merklich: Je mehr Wellenden Schwarm nach einem Grünfischer-Angriff durchliefen, desto länger dauerte es, bis der Vogel einen erneuten Versuch startete.

Wellenbewegungen von Schwefelmollys nach einer Vogelattacke (Video: Juliane Lukas, Lizenz: CC BY-SA, 0,5-fache Wiedergabegeschwindigkeit, zugeschnitten)

Wellen im Experiment

In einem Experiment überprüften die Forschenden, ob das außergewöhnliche Verhalten der Fische auch die Schwefelmaskentyrannen beeinflusste. Dazu schossen sie mit einer Schleuder kleine Objekte ins Wasser unter die ansitzenden Vögel und brachten so die Fischschwärme zum Pulsieren.

Tatsächlich wirkte sich das auf die Tyrannen aus: Hatten die Forschenden Wellenbewegungen im Mollyschwarm ausgelöst, verstrich mehr Zeit bis die Vögel zum nächsten Angriff ansetzten – und darüber hinaus waren sie dabei deutlich seltener erfolgreich. 

Fazit

Die Studie zeigt: Das bemerkenswerte Schwarmverhalten der Schwefelmollys schützt die Fische zumindest kurzfristig vor ihren gefiederten Fressfeinden. Warum diese beim Auftreten der pulsierenden Wasseroberfläche zögern, lässt sich dabei nicht sicher sagen. Die Forschenden halten es für möglich, dass sie vom Anblick der Wellenbewegung verwirrt sind – oder dass sie sich zurückhalten, weil sie wissen, dass ihre Erfolgschancen geringer sind.


Zur Fach-Publikation:
Doran, C.; Bierbach, D.; Lukas, J.; Klamser, P.; Landgraf, T.; Klenz, H. (…) & Jens Krause (2021): Fish waves as emergent collective antipredator behavior. Current Biology 32.

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