Wenn ein Männchen ein Weibchen anlocken will, steht es häufig vor einem Problem: Auch Feinde könnten durch seine Signale aufmerksam werden. Eine aktuelle Studie zeigt, wie Mopsnasige Baumfrösche dieses Problem lösen.
Die Männchen einiger Tierarten geraten zur Paarungszeit in ein Dilemma. Einerseits möchten sie Weibchen mit deutlichen Signalen auf sich aufmerksam machen, andererseits aber möglichst keine Feinde anlocken. Mopsnasige Baumfrösche aus Panama haben für dieses Problem eine geschickte Lösung: Manche Männchen verstecken sich hinter dem Ruf eines Konkurrenten. Wie genau das funktioniert, hat eine aktuelle Studie entschlüsselt.
Die Werberufe des Mopsnasigen Baumfroschs
Beim Mopsnasigen Baumfrosch (Smilisca sila) buhlen die Männchen mit lauten Rufen um die Gunst der Weibchen. Doch sie locken damit nicht nur potenzielle Partnerinnen an: Sowohl Frösche-fressende Fledermäuse als auch Frösche-liebende Mücken nutzen das Quaken, um ihre Beute ausfindig zu machen.
Auffällig bei den Mopsnasigen Baumfröschen ist, dass sie häufig im Chor rufen. Das wird von Männchen vieler anderer Arten für gewöhnlich vermieden, damit das eigene Signal besser zur Geltung kommt. Vor diesem Hintergrund hatten der Forscher Henry Legett und seine Kolleginnen Claire Hemingway und Ximena Bernal eine Idee: Könnte es sein, dass die Baumfrösche sich den sogenannten „Präzedenz-Effekt“ zu Nutze machen, um sich akustisch zu tarnen?
Der Präzedenz-Effekt
Wenn wir uns nicht gerade auf absolut freier Fläche befinden, kann es sein, dass der Schall einer Geräuschquelle nicht nur direkt in unser Ohr gelangt, sondern auch über Umwege. Zum Beispiel indem er von einer Wand oder einem Baum zurückgeworfen wird. Trotzdem können wir den eigentlichen Ursprung des Geräuschs korrekt bestimmten – dank des Präzedenz-Effekts. Dieser sorgt dafür, dass wir bei zeitversetzt eintreffenden gleichen Geräuschen nur die Richtung des zuerst ankommenden Schalls wahrnehmen.
Wenn Mopsnasige Baumfrösche im Chor rufen, besteht trotz fast perfekter Synchronität eine minimale Zeitverzögerung von im Schnitt 79 Millisekunden zwischen den einzelnen Männchen. Diese leichte Verzögerung könnte durch den Präzedenz-Effekt tatsächlich dazu führen, dass Fledermäuse und Mücken als Ursprung des Quakens nur den ersten Rufer ausmachen. Aber funktioniert das wirklich? Und werden die verzögert rufenden Männchen dadurch nicht auch für ihre eigentliche Zielgruppe – die Weibchen – „unsichtbar“? Diese Fragen untersuchten Legett, Hemingway und Bernal in einer Reihe von Experimenten.
Präferenzen der Feinde
Zunächst galt es herauszufinden, ob die Frösche durch das minimal zeitversetzte Rufen wirklich ihr Risiko senken können, gefressen oder gestochen zu werden. Dazu fing das Team zehn Frosch-fressende Fledermäuse (Trachops chirrhosus) sowie etwa 1000 Mücken (Corethrelle spp.) ein und testete sie jeweils in einem Wahlexperiment. Sie positionierten dazu zwei Lautsprecher mit etwas Abstand voneinander und spielten daraus die Rufe von Mopsnasigen Baumfröschen ab. Einer der Lautsprecher startete dabei immer exakt 79 Millisekunden früher als der andere. Das Ergebnis: Sowohl Fledermäuse als auch die Mücken zeigten eine deutliche Präferenz für den Lautsprecher, der mit dem Abspielen des Froschrufs zuerst startete. Der Präzedenz-Effekt scheint den später einsetzenden Fröschen also tatsächlich Schutz zu bieten.
Präferenzen der Weibchen
Auch die Reaktion der Weibchen auf die Rufe wurde untersucht. Dazu fing das Team 23 weibliche Mopsnasige Baumfrösche und testete sie im gleichen Wahlexperiment wie die Fledermäuse und Mücken. Im Gegensatz zu diesen zeigten die Weibchen allerdings keine so deutliche Präferenz. Zwar wählten fünfzehn Tiere den „Erstrufer“, aber immerhin acht entschieden sich für den „Zweitrufer“. Dieser Unterschied ist statistisch nicht signifikant. Der Präzedenz-Effekt scheint bei den Mopsnasigen Baumfrosch-Weibchen also, wenn überhaupt, verhältnismäßig schwach ausgeprägt zu sein.
Um einen Vergleich zu haben, führten die Forscher*innen den Wahlversuch auch mit Tungara-Fröschen (Engystomops pustulosus) durch. Bei dieser Art rufen die Männchen unter natürlichen Bedingungen nicht im Chor. Hörten nun weibliche Tungara-Frösche sich überlappende Rufe von Tungara-Männchen, zeigten sie im Gegensatz zu den Mopsnasigen Baumfröschen eine eindeutige Präferenz für den „Erstrufer“: 36 von 40 Weibchen näherten sich dem Lautsprecher, aus dem der Ruf mit etwas Vorsprung erklang.
Fazit
Die Studie war in Bezug auf die Strategie der zeitversetzt rufenden Mopsnasigen Baumfrösche sehr aufschlussreich: Die „Zweitrufer“ scheinen tatsächlich durch Ausnutzung des Präzedenz-Effekts ihr Risiko senken zu können, gefressen oder gestochen zu werden – und das ohne große Einbußen bezüglich des Erfolgs bei den Weibchen. Eine Frage bleibt allerdings vorerst offen: Was bringt einige der Frösche trotzdem dazu, den risikoreichen Anfang zu machen?
Zur Fach-Publikation:
Legett, H. D.; Hemingway, C. T. & Bernal, X. E. (2020): Prey exploits the auditory illusions of eavesdropping predators. The American Naturalist 195.
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