Betrügen oder nicht betrügen? Soziales Lernen bei Putzerfischen

Putzerfische fressen Parasiten größerer Fische. Sie mögen aber eigentlich den die Fische umgebenden Schleim wesentlich lieber. Dass es trotzdem besser ist, sich nicht daran zu bedienen, lernen junge Putzerfische schon durch Beobachtung, wie eine aktuelle Studie zeigt.

von Niklas Kästner

Putzerfische lernen durch Beobachtung
Zwei Putzerfische mit einem Klienten (Foto: David Clode via Unsplash)

Zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Darin sind wir Menschen unübertroffen. Doch auch im Tierreich gibt es durchaus beeindruckende Beispiele von Kooperation – selbst über Artgrenzen hinweg. Besonders gut untersucht ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen dem etwa zehn Zentimeter langen Gewöhnlichen Putzerfisch (Labroides dimidiatus) und seinen sogenannten „Klienten“.

Der Putzerfisch und seine Klientel

Der Putzerfisch erwartet seine Klienten – meist größere Fische diverser Arten – an bestimmten Stellen im Korallenriff. Dort nehmen diese seine Dienste in Anspruch, um sich von Parasiten befreien zu lassen. Diese wiederum verspeist der Putzerfisch – es profitieren also beide von der Interaktion.

Wesentlich lieber als die Parasiten frisst der Putzerfisch allerdings den Schleim, der die Fische schützend umgibt. „Betrügt“ ein Putzerfisch Klienten durch das Fressen von Schleim statt Parasiten, „bestrafen“ diese ihn: Sie suchen rasch das Weite oder jagen ihn sogar eine Weile. Wenn das wiederum ein wartender potenzieller Klient mitbekommt, meidet er diesen Putzerfisch. Es gibt also gute Gründe, sich an die Regeln zu halten.

Die Forscher*innen Noa Truskanov, Yasmin Emery und Redouan Bshary untersuchten nun, ob junge Putzerfische in der Lage sind, die Konsequenzen eines solchen Betrugs schon durch Beobachtung von anderen zu lernen. Man spricht in einem solchen Fall von „sozialem Lernen“ (Englisch: social learning). Dazu nutzte das Team ein bereits etabliertes System, mit dem sich das Verhalten des Klienten kontrollieren lässt: Er wird einfach durch eine mit Nahrung präparierte Plexiglasplatte ersetzt.

Experiment 1: Betrug hat Konsequenzen

Die Forscher*innen setzten einen jungen Putzerfisch auf die eine Seite eines zweigeteilten Aquariums, und einen erwachsenen Putzerfisch auf die andere Seite. Nun wurde dem erwachsenen Fisch ein künstlicher Klient bereitgestellt: eine Plexiglasplatte, die sowohl mit Krabben als auch mit Flockenfutter für Fische bestückt war. Putzerfische mögen Krabben wesentlich lieber als Flockenfutter. Man kann sich also die Krabben als den Schleim vorstellen, das Flockenfutter als die Parasiten.

Der junge Putzerfisch beobachtete nun den erwachsenen Fisch beim Fressen. Dieser war zuvor bereits trainiert worden, entgegen seiner Vorliebe eher das Flockenfutter zu fressen. Sobald er nun „betrügen“ wollte, indem er doch eine Krabbe statt des Flockenfutters aß, verschwand der „Klient“ umgehend – die Plexiglasplatte wurde aus dem Aquarium entfernt. Dieser Ablauf wurde 14 Mal wiederholt.

Insgesamt wurde dieser Schritt des Versuchs mit zehn jungen Putzerfischen durchgeführt. Anschließend wurde ihnen selbst mehrfach eine Plexiglasplatte bereitgestellt. Ihr Fressverhalten wurde mit dem von zehn jungen Fischen verglichen, die zuvor keinen Betrug beobachten konnten. Tatsächlich aßen die Fische, die die Konsequenzen des Krabbenessens bei erwachsenen Tieren beobachtet hatten, deutlich weniger davon als die Vergleichstiere. Sie hatten also die Regeln durch bloßes Beobachten gelernt.

Experiment 2: Klienten sind unterschiedlich tolerant

In einem weiteren Experiment wollte das Team herausfinden, ob die Fische auch durch Beobachtung lernen würden, welche Klienten besonders tolerant sind. Der Aufbau des Experiments glich grundsätzlich dem des vorherigen. Die jungen Putzerfische durften diesmal sogar 20 Putzabläufe von Erwachsenen beobachten. Diese kümmerten sich jetzt allerdings abwechselnd um zwei verschiedene „Klienten“, die sich in Farbe und Muster unterschieden. Die eine Platte reagierte auf das Fressen einer Krabbe, indem sie sich langsam entfernte. Sie war also ein eher toleranter Klient. Die anderer Platte reagierte etwas harscher: sie jagte die erwachsenen Fische für ein paar Sekunden und verschwand dann. Anschließend wurden die beiden Platten den jungen Putzerfischen mehrmals gleichzeitig präsentiert, und es wurde gemessen, ob sie eine Präferenz für eine der Platten zeigten. Auch in diesem Experiment lernten die Fische erfolgreich durch Beobachtung: Sie zeigten eine klare Präferenz für die Platte, die in Farbe und Muster dem toleranten Klienten entsprach.

Das Ganze funktionierte auch, wenn der Klient etwas weniger empört reagierte. Der Versuch wurde parallel so durchgeführt, dass die nicht-tolerante Platte den erwachsenen Fisch nicht jagte, sondern einfach sehr schnell floh. Das reichte schon, damit sie im Vergleich zur sich langsam entfernenden Platte von den jungen Putzerfischen gemieden wurde.

Experiment 3: Bloße Präferenzen werden nicht kopiert

Als wären die bisherigen Befunde nicht schon spannend genug, wollten es die Wissenschaftler*innen noch genauer wissen. Würden die jungen Putzerfische einfach blind kopieren, was die Erwachsenen taten, oder war die Reaktion der Klienten entscheidend? Um das zu untersuchen, trainierten sie erwachsenen Putzerfischen eine künstliche Präferenz für bestimmte Platten-Klienten an. Dann ließen sie die jungen Fische mehrfach die Erwachsenen bei der Wahl der präferierten Platte beobachten, ohne dass die Platten unterschiedliches Verhalten zeigten.

Tatsächlich hatte diese künstliche Präferenz keinerlei Auswirkungen auf das anschließende Wahlverhalten der jungen Fische. Sie kümmerten sich um beide Platten gleich häufig. 

Fazit

Die Studie zeigt: Putzerfische sind in der Lage, durch bloße Beobachtung einer sozialen Interaktion Verhaltensstrategien zu erlernen und sogar zukünftige Interaktionspartner einzuschätzen. Diese erstaunlichen Fähigkeiten sind sicher hilfreich, wenn man sich am Putz-Markt des Korallenriffs mit seinen diversen Klienten zurechtfinden möchte.


Zur Fach-Publikation:
Truskanov, N.; Emery, Y. & Bshary, R. (2020): Juvenile cleaner fish can socially learn the consequences of cheating. Nature Communications 11: 1159.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert