Auch unter Schafen gibt es freundschaftliche Bande: Manche Tiere einer Herde pflegen besonders engen Kontakt miteinander. Doch wie entstehen solche innigen Beziehungen? Einer aktuellen Studie zufolge können dabei gemeinsame negative Erfahrungen den Ausschlag geben.
Wenn Menschen gemeinsam eine schwere Zeit durchstehen, kann sie das näher zusammenbringen – ein Phänomen, das inzwischen wissenschaftlich gut belegt ist. Bei Tieren wissen wir hingegen nur wenig darüber, wie sich geteilte Erfahrungen auf das soziale Miteinander auswirken. Eine aktuelle Studie lässt nun darauf schließen, dass auch bei Schafen belastende Erlebnisse das Entstehen enger sozialer Beziehungen begünstigen können.
Ein stressiger Tag für weibliche Merinoschafe
Im Rahmen der Untersuchung führte ein Forschungsteam um Hamideh Keshavarzi und Dana Campbell ein Experiment mit weiblichen Merinoschafen durch. Die Forschenden entnahmen aus fünf unterschiedlichen Herden jeweils ein Schaf und ließen die Tiere gemeinsam einen stressigen Tag erleben: Im Verlauf von viereinhalb Stunden wurden sie unter anderem zweimal in einem Wagen transportiert, von einer Person fixiert und von einem Hund getrieben. Fünf andere Tiere aus den gleichen Herden wiederum ließen die Forschenden während dieser Zeit unbehelligt gemeinsam auf einer Koppel stehen. Anschließend brachte das Team alle zehn Schafe zusammen auf eine Weide.
Dort waren also Schafe aus derselben Herde zusammen, die miteinander vertraut waren, und Schafe, die im Verlauf des Experiments erstmals aufeinandergetroffen waren. Von letzteren wiederum hatten einige zusammen eine belastende Prozedur erlebt, während andere sich lediglich gemeinsam auf einer Koppel aufgehalten hatten. Über vier Tage bestimmten die Forschenden, wie nah die einzelnen Tiere beieinanderstanden. Den gesamten Ablauf wiederholten sie anschließend sechsmal mit weiteren Schafen, sodass sie insgesamt Daten von 70 Tieren sammelten.
Die Auswirkungen von gemeinsam erlebtem Stress
Bei der Auswertung zeigte sich zunächst wenig überraschend, dass die Tiere, die bereits vor dem Experiment miteinander vertraut waren, am engsten beieinanderstanden. Doch wie verhielt es sich mit den Tieren, die sich zuvor nicht kannten? Wirkten sich die gemeinsamen Erfahrungen auf die Nähe zwischen ihnen aus?
Tatsächlich war das der Fall. Zunächst ließ sich zwar kein Unterschied zwischen den Gruppen erkennen. Doch ab dem dritten Tag standen Tiere, die gemeinsam den stressigen Tag erlebt hatten, im Durchschnitt näher beieinander als Tiere, die den gleichen Zeitraum lediglich gemeinsam auf einer Koppel verbracht hatten.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Wenn nicht miteinander vertraute Schafe gemeinsam Stress erleben, suchen sie anschließend verstärkt die gegenseitige Nähe. Das lässt darauf schließen, dass auch bei ihnen gemeinsame Erfahrungen die Entstehung von sozialen Bindungen begünstigen können. Die Forschenden weisen allerdings darauf hin, dass dieser Zusammenhang nicht bloß für negative Ereignisse gelten muss – es ist gut möglich, dass sich auch ausgesprochen positive Erlebnisse förderlich auf die Ausbildung sozialer Beziehungen zwischen Schafen auswirken.
Zur Fach-Publikation:
Kehsavarzi, H.; Dyall, T. R.; Johnson, M. & Campbell D. L. M. (2023): Shared stressful experiences affect social proximity in Merino sheep. Biology Letters.
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