Geparden reißen weniger Kälber – Entschärfung eines Mensch-Wildtier-Konflikts durch Verhaltensforschung

Auf Rinderfarmen in Namibia fallen Kälber regelmäßig Geparden zum Opfer. Ein Forschungsteam stellte fest, dass die Raubkatzen vor allem bestimmte Kernbereiche ihrer Territorien nutzen. Wurden Herden mit Jungtieren von diesen ferngehalten, sank die Zahl der gerissenen Kälber drastisch.

von Niklas Kästner

Begnadete Sprinter: Geparden
Begnadete Sprinter: Geparden (Foto: Cara Fuller via Unsplash, zugeschnitten)

Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren können den Artenschutz erheblich erschweren. Wenn Raubtiere zum Beispiel wiederholt Nutztiere töten, führt das häufig zum Abschuss dieser sogenannten „Problemtiere“. So auch in Namibia, wo Geparden (Acinonyx jubatus) regelmäßig Kälber auf Rinderfarmen reißen. Doch eine aktuelle Studie zeigt, dass es eine weniger drastische Methode gibt, um die Kälber zu schützen: Ein Forschungsteam stellte fest, dass Geparden bestimmte Bereiche ihrer Territorien besonders häufig nutzen. Wurden Rinderherden mit Kälbern von diesen Gebieten ferngehalten, verringerte sich die Zahl der gerissenen Jungtiere um 86 Prozent.

Männliche Geparden sind territorial

Weibliche Geparden durchstreifen allein große Gebiete und bleiben bloß während der Jungenaufzucht länger an einem Ort. Männliche Geparden hingegen führen für gewöhnlich nur in jungen Jahren ein solches Nomadenleben und verteidigen dann ein festes Territorium. Zudem leben sie anders als die Weibchen häufig nicht allein, sondern zusammen mit einem oder zwei anderen Männchen – meist ihre Brüder. In Namibia überschneiden sich die Territorien der Geparden oftmals mit den weitläufigen Flächen von Rinderfarmen. Diese bestehen aus vielen kleineren Parzellen, auf denen die Farmer*innen ihre Herden umschichtig weiden lassen.

Ein Forschungsteam um Joerg Melzheimer und Bettina Wachter erfasste in einer ausführlichen Studie zunächst die Gebietsnutzung verschiedener Geparden. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler*innen, ob sich die Anzahl der von Geparden gerissenen Kälber durch dieses Wissen verringern lässt.

Verstärkte Gepardenaktivität in Kernbereichen der Territorien

Insgesamt statteten die Forscher*innen knapp 100 männliche Geparden in Namibia mit GPS-Trackern aus, die ihnen teils über mehrere Jahre verrieten, wo die Tiere sich aufhielten. Dabei zeigte sich, dass die Inhaber von Territorien diese keineswegs gleichmäßig nutzten. Vielmehr gab es bestimmte Kernbereiche, in denen sie einen großen Teil ihrer Zeit verbrachten.

Interessanterweise suchten auch umherstreifende Gepardenmännchen ohne eigenes Territorium diese Bereiche besonders häufig auf. Wie lässt sich das erklären? Vermutlich lockten die informativen Duftmarken der Territorieninhaber sie an – denn die Kernbereiche enthielten meist Bäume oder Steine, welche die Tiere besonders intensiv markierten. Die Wissenschaftler*innen bezeichneten diese Gebiete deshalb als „Kommunikationszentren“ (Englisch: communication hubs).

Die Kommunikationszentren der verschiedenen Territorien grenzten nie direkt aneinander, sondern wurden von Gebieten mit deutlich weniger Gepardenaktivität getrennt. Besonders interessant: Wenn ein Territorium den Inhaber wechselte, blieb die Lage des Kommunikationszentrums davon weitgehend unverändert. 

Meiden der Kernbereiche schützt Kälber

Die Forscher*innen vermuteten, dass Geparden die Kälber hauptsächlich in den Kernbereichen ihrer Territorien rissen. Sie identifizierten sechs Farmen, deren Weidegebiete mit Kommunikationszentren der Geparden überlappten. Ihre Idee: Wenn die Farmer*innen künftig Herden mit Kälbern außerhalb dieser Bereiche weiden ließen, könnte das die Zahl der gerissenen Kälber senken.

Tatsächlich war das der Fall: Während Geparden auf den Farmen in den zwei vorherigen Jahren durchschnittlich fünfzehn Kälber pro Jahr getötet hatten, waren es in den elf Jahren nach Einführung des neuen Weideregimes nur noch etwa zwei.

Fazit

Die Studie ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie verhaltensbiologische Forschung zur Entschärfung von Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren beitragen kann. Die Ergebnisse legen nahe, dass Kälber den Geparden vor allem dort zum Opfer fallen, wo sich die Weideplätze der Rinder mit den Kerngebieten der Raubtiere überschneiden. Dieses Problem dürfte der Abschuss einzelner Tiere nicht lösen – das Territorium mit dem entsprechenden Kommunikationszentrum würde bald von einem Nachfolger besetzt. Wenn die Farmer*innen hingegen Herden mit Jungtieren von diesen Flächen fernhalten, können sie ihre Verluste offenbar nachhaltig verringern – und das, ohne Geparden zu töten.


Zur Fach-Publikation:
Melzheimer, J.; Heinrich, S. K.; Wasiolka, B.; Mueller, R.; Thalwitzer, S.; Palmegiani, I.; Weigold, A.; Portas, R.; Roeder, R.; Krofel, M.; Hofer, H. & Wachter, B. (2020): Communication hubs of an asocial cat are the source of a human-carnivore conflict and key to its solution. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 117: 33325-33333.

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