In einer aktuellen Studie wurde die soziale Struktur einer Giraffenpopulation in Tansania untersucht. Das Ergebnis: In der Nähe menschlicher Siedlungen lebende Giraffen hatten im Vergleich zum Rest der Population insgesamt schwächere soziale Verbindungen und weniger enge Beziehungen.
Nicht nur Menschen, sondern auch viele Tiere sind in soziale Netzwerke eingebunden. Diese können sich in ihrer Größe und Struktur unterscheiden – zwischen Arten, aber auch innerhalb einer Art. Solche Beziehungsgeflechte haben großen Einfluss auf das Leben der Tiere: Sie bestimmen den Fluss von Informationen, sind entscheidend für die Weitergabe von Krankheitserregern und können sich auf den Fortpflanzungserfolg und die Lebensdauer auswirken.
Ein Forschungsteam um Monica Bond und Damien Farine hat über einige Jahre die soziale Struktur einer Population wildlebender Giraffen (Giraffa camelopardalis tippelskirchi) beobachtet. Dabei haben die Wissenschaftler*innen verschiedene Giraffengemeinschaften identifizieren können – und festgestellt, dass die Tiere in der Nähe menschlicher Siedlungen schwächere soziale Verbindungen aufwiesen.
Die Studie
Bond und ihre Kolleg*innen führten ihre Studie im Tarangire Ökosystem in Nord-Tansania durch. Sie durchfuhren innerhalb von fünfeinhalb Jahren immer wieder ihr Studiengebiet und fotografierten die dort lebenden Giraffen – praktischerweise lassen sich die Individuen eindeutig an ihrem einzigartigen Netzmuster erkennen. Für ihre Analyse beschränkten sie sich auf erwachsene weibliche Tiere, da sie stärkere Beziehungen untereinander aufweisen als die Männchen.
Die Wissenschaftler*innen bestimmten, welche Giraffen besonders häufig miteinander anzutreffen waren, und erstellten auf dieser Grundlage ein Beziehungs-Netzwerk. Dieses untersuchten sie daraufhin, ob sich die sozialen Strukturen in der Nähe von menschlichen Siedlungen von denen in siedlungsfreien Gebieten unterschieden.
Das soziale Netzwerk der Giraffen
Insgesamt umfasste die vom Forschungsteam untersuchte Population 540 erwachsene Giraffenweibchen. Die Analyse der Fotos ergab, dass sie aus 14 verschiedenen sozialen Gemeinschaften bestand. Diese durchstreiften zwar mitunter die gleichen Gebiete, soziale Nähe bestand aber vor allem innerhalb der einzelnen Gruppen.
Von den 14 Gemeinschaften hatten 3 nur 6 oder weniger Mitglieder, bei den übrigen 11 waren es im Durchschnitt 48. Innerhalb dieser größeren Gruppen hatten wiederum nicht alle Tiere gleich viel miteinander zu tun. Vielmehr gab es einzelne Giraffen, die besonders enge Beziehungen pflegten. Die verschiedenen Gemeinschaften ließen sich also weiter in Untergruppen aufteilen. Man spricht bei einer solchen Struktur von einer multilevel society, d.h. einer Gesellschaft mit mehreren Ebenen von Beziehungen.
Soziales Leben in der Nähe menschlicher Siedlungen
Tatsächlich ergab die Analyse von Bond und ihrem Team auch, dass die soziale Struktur der Giraffen sich in der Nähe menschlicher Siedlungen von der Struktur in siedlungsfreien Gebieten unterschied: Giraffengemeinschaften hatten hier insgesamt schwächere Verbindungen – und nur relativ wenige besonders enge Beziehungen zu ihren Artgenossen. Das bezog sich allerdings ausschließlich auf einen der beiden im Untersuchungsgebiet vorkommen Siedlungstypen: die Bomas. Bomas sind kleine Dörfer der Masai, deren Häuser aus natürlichen Materialien gebaut sind. Die Nähe zu Städten – dem anderen Siedlungstyp – schien im Gegensatz dazu keinen Einfluss auf die Struktur der Giraffengruppen zu haben. Das lag laut dem Forschungsteam aber sehr wahrscheinlich daran, dass die Tiere zu den Städten insgesamt wesentlich größeren Abstand hielten als zu den kleinen Bomas.
Fazit
Wie lassen sich die schwächeren Verbindungen der Giraffen in der Nähe von menschlichen Siedlungen erklären? Die Forscher*innen vermuten, dass die Tiere dort vermehrt von Personen oder ihren Haustieren aufgestört werden und es dadurch häufiger zu Gruppenaufspaltungen kommt. Allerdings lässt sich anhand des gefundenen Zusammenhangs nicht sicher sagen, ob die Nähe zu den Bomas wirklich das Sozialverhalten der Giraffen beeinflusst – oder ob Giraffen mit schwächeren sozialen Verbindungen eher die Nähe von Siedlungen aufsuchen. Doch auch, wenn dieser Punkt offen bleibt: Das Ergebnis der Studie ist spannend – und ein hervorragender Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungen.
Zur Fach-Publikation:
Bond, L. B.; König, B.; Lee, D. E.; Ozgul, A. & Farine, D. R. (2020): Proximity to humans affects local social structure in a giraffe metapopulation. Journal of Animal Ecology 00: 1-10.
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