Stadtvögel haben oft einen geringeren Bruterfolg als ihre Artgenossen auf dem Land. Eine aktuelle Studie an Kohlmeisen zeigt, dass sich dieser Unterschied zu einem großen Teil auf das geringere Insektenvorkommen in städtischen Gebieten zurückführen lässt.
Vögel, die in der Stadt brüten, haben oft weniger Erfolg bei der Fortpflanzung als ihre Artgenossen in naturnahen Gebieten. Bedenkt man den erheblichen Kontrast zwischen den beiden Lebensräumen, überrascht die Tatsache nicht unbedingt. Aber welcher der vielen Unterschiede zwischen Stadt und Land ist ausschlaggebend? Am Beispiel der Kohlmeise (Parus major) zeigt eine aktuelle Studie, dass die Nahrungsverfügbarkeit eine entscheidende Rolle spielen kann.
Erste Hinweise
Bereits vor zwei Jahren machte ein Team um die Wissenschaftler Gabor Seress und Andras Liker bei einer Untersuchung in Ungarn eine Beobachtung: Der Nachwuchs von „Stadtmeisen“ kam häufiger durch Mangelernährung zu Tode als der von „Waldmeisen“. Gleichzeitig fanden die Wissenschaftler*innen in der Stadt wesentlich weniger Raupen als im Wald – und Raupen sind für die Jungenaufzucht bei Kohlmeisen besonders wichtig. Die Ergebnisse ließen vermuten, dass die Nahrungsknappheit in der Stadt den Bruterfolg der Vögel limitiert. Diese Hypothese überprüften die Wissenschaftler mit ihren Kolleg*innen in einem Experiment.
Das Experiment
In ihrer Untersuchung verglichen sie erneut den Bruterfolg von Kohlmeisen in der Stadt und im Wald. Diesmal manipulierten sie allerdings zusätzlich die Nahrungsverfügbarkeit: In beiden Gebieten stellten sei der Hälfte der Brutpaare direkt am Nistkasten eine Portion Mehlwürmer bereit, sobald ihre Jungvögel geschlüpft waren. Die Größe der Portion passten sie der Anzahl der Jungvögel im jeweiligen Nistkasten an, sodass sie in etwa 40-50 Prozent ihres Tagesbedarfs entsprach. Als die jungen Meisen zwei Wochen alt waren, bestimmten die Wissenschaftler*innen ihr Gewicht und ihre Flügellänge. Außerdem notierten sie, wie viele Jungvögel vom Schlüpfen bis zu diesem Zeitpunkt überlebt hatten.
Das Ergebnis
Der Vergleich zwischen Stadt- und Waldmeisen ohne Zufütterung passte zu den vorherigen Ergebnissen. Während im Wald durchschnittlich 95 Prozent der geschlüpften Jungvögel in einem Nest überlebten, waren es in der Stadt nur 58 Prozent. Die Jungvögel unterschieden sich zudem in ihrer Größe: In der Stadt waren sie im Schnitt etwa drei Gramm (ca. 18 %) leichter und hatten um etwa acht Millimeter (ca. 17 %) kürzere Flügel.
Anders sah es aus beim Vergleich zwischen Stadt- und Waldmeisen mit Zufütterung: Die zusätzliche Nahrung sorgte dafür, dass kaum mehr Unterschiede in Sterblichkeit und Körpergröße vorhanden waren. Während die Extraportion Mehlwürmer bei den Waldmeisen kaum Auswirkungen hatte, sorgte sie bei den Stadtmeisen für eine erhebliche Verbesserung des Bruterfolgs. Die Überlebenswahrscheinlichkeit der Jungvögel durch die Fütterung stieg auf 88 Prozent, sie wogen im Durchschnitt zwei Gramm mehr (ca. 14 %) und ihre Flügellänge stieg im Mittel um fünf Millimeter (ca. 12 %).
Fazit
Durch das Bereitstellen von zusätzlichen Insektenlarven während der Jungenaufzucht verringerte sich der Unterschied im Bruterfolg zwischen Stadt- und Waldmeisen massiv. Das zeigt: Ein reduziertes Insektenangebot in städtischen Gebieten spielt tatsächlich eine entscheidende Rolle für den dort festgestellten eingeschränkten Fortpflanzungserfolg. Das gilt es zu bedenken, wenn wir Vögel im Stadtgebiet unterstützen wollen. Es reicht nicht, Nistmöglichkeiten zu schaffen. Es müssen auch Flächen vorhanden sein, auf denen sie genügend Nahrung finden.
Zur Fach-Publikation:
Seress, G.; Sándor, K.; Evans, K. L. & Liker, A. (2020): Food availability limits avian reproduction in the city: An experimental study on great tits Parus major. Journal of Animal Ecology 00: 1-11.
Weitere Literatur:
Seress, G.; Hammer, T.; Bókony, V.; Vincze, E.; Preiszner, B.; Pipoly, I.; Sinkovics, C.; Evans, K. L. & Liker, A. (2018): Impact of urbanization on abundance and phenology of caterpillars and consequences for breeding in an insectivorous bird. Ecological Applications 28: 1143-1156.
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