Eine aktuelle Studie zeigt: Verkehrslärm kann die Entwicklung von Vögeln erheblich beeinträchtigen. Aus Zebrafinken-Eiern, die Verkehrsgeräuschen ausgesetzt waren, schlüpften seltener Jungvögel – und diese zeugten im Erwachsenenleben selbst deutlich weniger Nachkommen.
Bei dem Begriff „Umweltverschmutzung“ denken viele vermutlich vor allem an Müll und Schadstoffe, die wir in die Natur einbringen. Doch auch durch künstliches Licht und von uns verursachten Krach beeinträchtigen wir die Lebewesen in unserer Umgebung. Eine aktuelle Studie gibt den Auswirkungen der sogenannten Lärmverschmutzung nun eine ganz neue Dimension: Sie zeigt, dass Verkehrslärm sich unmittelbar auf die Entwicklung von Jungvögeln auswirken kann – mit langfristigen Folgen.
Verkehrslärm oder Gesang vor dem Schlüpfen
Im Rahmen der Untersuchung führten Forschende um Alizée Meillère und Mylene Mariette ein groß angelegtes Experiment durch. In einer ersten Phase tauschten sie die Eier von Zebrafinken (Taeniopygia guttata castanotis), die in Volieren brüteten, gegen Attrappen aus und bebrüteten sie stattdessen in Inkubatoren. In den letzten fünf Tagen vor dem Schlüpfen spielten sie einem Teil der Eier jeweils morgens und abends Aufnahmen von Verkehrsgeräuschen vor, einem anderen Teil hingegen Aufnahmen von singenden Zebrafinken. Die Lautstärke entsprach dabei mit rund 65 Dezibel einem Lärmpegel, der Vögel in städtischen Gebieten durchaus begegnen kann
Verkehrslärm oder Gesang während der Nestlingsphase
In einer zweiten Phase ließen die Forschenden die aus den Eiern geschlüpften Küken von erwachsenen Zebrafinken aufziehen. Zwischen dem 4. und 13. Tag brachten sie die Jungvögel dabei jeweils nachts in einen abgetrennten Raum, in dem sie ihnen wiederum morgens und abends Zebrafinkengesang oder Verkehrsgeräusche vorspielten. Bei einem Teil der Vögel wechselten sie allerdings zwischen den Phasen die Tonaufnahmen. So gab es letztlich Zebrafinken, die sowohl als Embryo als auch als Nestling ausschließlich Verkehrslärm oder Gesang vorgespielt bekommen hatten, aber auch Zebrafinken, die jeweils in einer der beiden Lebensphasen Verkehrslärm und in der anderen Gesang gehört hatten.
Warum trennten die Forschenden die Eier und Jungvögel von ihren Eltern und spielten ihnen die Geräusche nicht einfach am Nest vor? Der Grund dafür war, dass das Team so die direkten Effekte des Lärms auf die heranwachsenden Tiere überprüfen konnte. Denn wenn sowohl Nachwuchs als auch Eltern den Geräuschen ausgesetzt sind, lässt sich nicht sagen, ob die Jungtiere wirklich unmittelbar durch diese beeinflusst werden oder indirekt – beispielsweise weil sich das Verhalten der Elterntiere ändert.
Auswirkungen des Lärms während der frühen Lebensphasen
Bereits während der ersten Versuchsphase zeigten sich Auswirkungen des Straßenlärms: Aus den Eiern, denen die Forschenden Verkehrsgeräusche vorgespielt hatten, schlüpften am Ende deutlich weniger Jungvögel. Zudem ergaben sich am Ende der zweiten Phase bei den geschlüpften Tieren deutliche Größen- und Gewichtsunterschiede, ahängig von den jeweiligen akustischen Bedingungen. So waren Zebrafinken, die sowohl als Embryo als auch als Nestling Verkehrsgeräusche gehört hatten, am kleinsten und leichtesten, Zebrafinken, die nie Verkehrsgeräusche gehört hatten, am größten und schwersten – und die anderen Vögel lagen genau dazwischen. Ein ähnliches Bild ergab sich für die Länge der Telomere (die schützenden Enden der Chromosomen), welche die Forschenden mittels Blutanalysen bestimmten: Je mehr Verkehrslärm die Vögel in ihrem bisherigen Leben ausgesetzt waren, desto kürzer waren ihre Telomere – was auf ein höheres Maß an Zellschädigungen schließen lässt.
Auswirkungen des Lärms im Erwachsenenalter
Die Forschenden verfolgten das Schicksal der Vögel auch nach der Nestlingsphase über mehrere Jahre. Dabei stellten sie fest: Während die Größen- und Gewichtsunterschiede bis zum 40. Lebenstag verschwanden, blieben die Unterschiede in der Telomerlänge bis ins Erwachsenenalter bestehen.
Darüber hinaus hatten die akustischen Erfahrungen während der frühen Entwicklungsphasen drastische Auswirkungen auf den späteren Fortpflanzungserfolg der Tiere: Bis zu ihrem vierten Lebensjahr zeugten Zebrafinken, die sowohl als Embryo als auch als Nestling Verkehrslärm ausgesetzt waren, im Durchschnitt 59 % weniger Nachkommen als Zebrafinken, die diese Geräusche nie erlebt hatten. Der Fortpflanzungserfolg der Tiere, die dem Lärm entweder nur als Embryo oder nur als Nestling ausgesetzt waren, lag wiederum genau dazwischen.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich menschengemachter Lärm während früher Lebensphasen dramatisch auf die Entwicklung von Tieren auswirken kann. Die Verkehrsgeräusche beeinträchtigten die Zebrafinken nicht bloß in der Nestlingsphase, sondern bereits im Ei – und die negativen Folgen zeigten sich bis ins hohe Erwachsenenalter.
Das macht einerseits wieder einmal deutlich, wie sehr wir durch unsere Lebensweise die Tiere in unserer Umgebung beeinträchtigen. Zum anderen wirft es aber auch die Frage auf, wie sich der von uns verursachte Krach auf die Entwicklung unseres eigenen Nachwuchses auswirkt. So schreibt der Wissenschaftler Hans Slabbekorn in einem Begleitartikel zur Studie, dass man vielleicht die akustische Umgebung in Krankenhäusern stärker in den Blick nehmen sollte – denn dort sind Schwangere und Neugeborene mitunter einem erheblichen Lärmpegel ausgesetzt.
Zu den Fach-Publikationen:
Meillère, A.; Buchanan, K. L.; Eastwood, J. R. & Mariette, M. M. (2024): Pre- and postnatal noise directly impairs avian development, with fitness consequences. Science.
Slabbekorn, H. (2024): A sound beginning of life starts before birth. Science.
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