Eine aktuelle Studie beschreibt ein faszinierendes Verhalten räuberischer Wanderameisen: Einige Tiere formieren sich zu lebenden Gerüsten, über die ihre Artgenossen starke Gefälle ungehindert passieren können. Das funktioniert anscheinend, ohne dass die beteiligten Tiere miteinander kommunizieren müssen.
Die Wanderameise Eciton burchellii gehört zu den bedeutendsten wirbellosen Jägern im tropischen Mittel- und Südamerika. Sie lebt in großen Kolonien mit hunderttausenden Arbeiterinnen, die tagsüber zu großangelegten Beutezügen ausschwärmen. Dabei hat sie es auf andere Insekten und kleinere Wirbeltiere abgesehen. Die erlegte Beute transportieren sie über ein weit verzweigtes „Straßennetz“ auf schnellstem Weg zur Brutstätte.
Die Studie
Auf ihren Beutezügen organisieren sich die Wanderameisen häufig zu Brücken oder ähnlichen Strukturen, damit ihre Artgenossen Hindernisse überwinden können und der Verkehrsfluss nicht abreißt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie beschreibt ein Forschungsteam um Matthew Lutz, Chris Reid und Iain Couzin eine bestimmte Form dieser selbstorganisierten Konstruktionen erstmalig im Detail: Wenn eine Ameisenstraße entlang eines starken Gefälles verläuft – beispielsweise über Baumwurzeln, Felsen oder sogar Hauswände (siehe Video) – bilden die Tiere lebende Gerüste. Dabei verharren mehrere Ameisen auf dem Gefälle und verschaffen den nachrückenden Tieren mit ihren Körpern Halt.
Auf der panamaischen Insel Barro Colorado nahmen die Wissenschaftler das Gerüstbauverhalten wildlebender Ameisenkolonien genauer unter die Lupe. Dazu leiteten sie deren Verkehr insgesamt 89-mal über eine eigens entwickelte Vorrichtung, bei der sie auf einem Streckenabschnitt von 10 cm verschiedene Neigungswinkel einstellten. Mithilfe von Filmaufnahmen beobachteten sie, wie sich die Ameisen zu Gerüsten formierten und wie viele von ihnen das Gefälle überquerten, ohne die Bodenhaftung zu verlieren.
Die Ergebnisse
Es zeigte sich: Die Ameisen bildeten die Gerüste vornehmlich, wenn das zu überquerenden Gefälle einen Winkel von mindestens 40 Grad aufwies. Je steiler der Abschnitt war, desto stärker wuchsen die Strukturen: Während auf den weniger abschüssigen Flächen nur wenige verstreute Ameisen verharrten, bildeten bei der senkrechten Stellung im Schnitt mehr als 50 Ameisen ein zusammenhängendes Gerüst.
Diese Überquerungshilfen zeigten tatsächlich Wirkung: Nachdem sich die Ameisen innerhalb nur weniger Minuten formiert hatten, sank die Anzahl der abrutschenden Tiere auf ein ähnlich geringes Niveau wie auf weniger abschüssigen Flächen.
Fazit
Die Ergebnisse liefern bemerkenswerte Einblicke, wie sich Wanderameisen der Art E. burchellii abhängig vom jeweiligen Gefälle zu lebenden Gerüsten organisieren, um einen reibungslosen Verkehrsfluss auf ihren Beutezügen zu gewährleisten.
Aber wie gelingt es den Ameisen, die gemeinschaftlichen Gerüstbildung untereinander zu koordinieren? Theoretische Modellierungen der Forscher legen nahe, dass der zugrundeliegende Prozess vergleichsweise simpel ist – und keine komplexe Kommunikation zwischen den Tieren erfordert: Wenn eine Ameise auf einem Gefälle geringen Halt hat, neigt sie vermutlich vermehrt dazu, sich am Untergrund festzukrallen und dort auszuharren. Je mehr Tiere sich so verhalten, desto größer wird das daraus resultierende Gerüst. Die Struktur wächst aber entsprechend nur so lange, bis die nachkommenden Ameisen ausreichend Halt finden – und das Hindernis auf den Körpern ihrer Artgenossen sicher überqueren können.
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