Kohlmeisen bedecken häufig ihr Gelege, bevor sie ihr Nest verlassen. Dadurch schützen sie die Eier vermutlich sowohl vor Auskühlung als auch vor Fressfeinden. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass sie damit außerdem konkurrierende Höhlenbrüter auf Abstand halten.
Kohlmeisen (Parus major) beginnen für gewöhnlich erst mit dem Brüten, nachdem sie ihr letztes Ei gelegt haben – zuvor schauen sie tagsüber bloß ab und an in ihrer Nisthöhle vorbei. Bevor die Weibchen morgens das Nest verlassen, bedecken sie ihr Gelege häufig mit Nistmaterial wie Fell oder Haaren. Dabei sind die Vögel einer Studie zufolge umso gründlicher, je geringer die Umgebungstemperatur und je größer die Gefahr von Nesträubern ist. Das lässt vermuten, dass das Zudecken zwei Funktionen erfüllt: Es sorgt dafür, dass die Eier nicht zu sehr auskühlen, und verbirgt das Gelege zudem vor den Augen möglicher Fressfeinde.
Allerdings zeigt die Untersuchung darüber hinaus, dass Meisen ihr Gelege auch dort besonders stark bedecken, wo viele Trauer- bzw. Halsbandschnäpper (Ficedula hypoleuca bzw. albicollis) leben. Wie lässt sich das erklären? Die Wissenschaftler*innen Tore Slagsvold und Karen Wiebe hatten eine Idee – die sie in einem Experiment mit wildlebenden Trauerschnäppern überprüften.
Die Idee
Trauerschnäpper stellen sehr ähnliche Ansprüche an ihre Nisthöhlen wie Kohlmeisen. Allerdings kehren sie meist erst dann aus ihren Überwinterungsgebieten zurück, wenn die Meisen bereits mit dem Brutgeschäft begonnen haben. Die männlichen Trauerschnäpper stehen dann vor der Herausforderung, einen Nistplatz zu finden – denn nur so können sie ein Weibchen für sich gewinnen.
Dringt ein Vogel dabei in einen bereits von Kohlmeisen besetzten Nistkasten ein und wird dort erwischt, kommt es dort zu ernsten Kämpfen. Bei diesen sind die Schnäpper zwar meist unterlegen – für die Meisen besteht aber durchaus ein Verletzungsrisiko. Entsprechend ist es für sie von Vorteil, wenn ein Trauerschnäpper gar nicht erst in ihre Nisthöhle eindringt. Und genau diesem Zweck könnte laut der Idee von Slagsvold und Wiebe das Abdecken der Eier dienen: Wenn die Meisen ihr Gelege mit Nistmaterial verdecken, ist für den Trauerschnäpper im dunklen Kasten nur schwer zu erkennen, ob die Luft rein ist – was ihn vom Hineinfliegen abhalten könnte. Leuchtend helle Eier ohne Abdeckung hingegen ließen ihn vermutlich schnell erkennen dass kein erwachsener Vogel anwesend ist.
Das Experiment
Um ihre Hypothese zu überprüfen, boten die Wissenschaftler*innen männlichen Trauerschnäppern auf der Suche nach Brutplätzen jeweils zwei Nistkästen an. Einer enthielt ein Kohlmeisennest mit nicht verdecktem Gelege – im anderen war das Nest entweder leer oder die Eier waren mit Nistmaterial zugedeckt. Das Team filmte die Schnäpper und ermittelte, wie lange es nach ihrem ersten Besuch an einem Kasten dauerte, bis sie hineinschlüpften.
Das Ergebnis
Tatsächlich ließen sich die Trauerschnäpper bei Nistkästen mit abgedeckten oder leeren Nestern im Mittel etwa 15 Minuten mehr Zeit, bevor sie darin verschwanden. Dadurch sehen die Forschenden ihre Hypothese bestätigt: Ein Nest ohne sichtbares Gelege schien die Schnäpper zu verunsichern, sodass sie länger warteten, bevor sie in den Kasten hineinschlüpften.
Interessanterweise hatte die Abdeckung des Geleges bei besonders kleinen oder besonders großen Kästen allerdings keine merklichen Auswirkungen auf das Verhalten der Trauerschnäpper. Wie erklären die Forschenden sich das?
Sie vermuten, dass die Kastengröße die Sichtverhältnisse im Inneren beeinflusste: In den kleinen Kästen konnten die Schnäpper demnach unabhängig vom Nestinhalt gut erkennen, dass sich keine erwachsene Meise darin befand. In den großen Kästen hingegen erreichte nur wenig Licht die Nestmulde, sodass die Schnäpper möglicherweise selbst die unbedeckten Eier nur schlecht erkannten. Zu dieser Vermutung passt, dass die Trauerschnäpper sich vergleichsweise früh in die kleinen Kästen wagten – und in die großen Kästen vergleichsweise spät.
Fazit
Das Ergebnis der Studie zeigt, dass Kohlmeisen mit dem Abdecken ihres Geleges Trauerschnäpper für eine gewisse Zeit davon abhalten können, in ihre Nisthöhlen einzudringen. Das verschafft ihnen möglicherweise mehr Zeit, die interessierten Konkurrenten zu bemerken und zu vertreiben, bevor es in den engen Hohlräumen zum Kampf kommt. Es ist also gut möglich, dass die Meisen ihre Eier nicht nur deshalb abdecken, um ihre Temperatur zu regulieren und sie vor Fressfeinden zu schützen – sondern auch, um Nistplatzkonkurrenten fernzuhalten.
Zur Fach-Publikation:
Slagsvold, T. & Wiebe K. L. (2021): Egg covering in cavity nesting birds may prevent nest usurpation by other species. Behavioral Ecology and Sociobiology 75: 116.
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