Weniger Wildunfälle durch dauerhafte Sommerzeit?

Einer aktuellen Studie zufolge führt die Umstellung auf die Winterzeit in den USA zu mehr Wildunfällen. Die Forschenden gehen davon aus, dass es bei dauerhafter Sommerzeit zu deutlich weniger Kollisionen käme – doch eine Schlafforscherin warnt vor voreiligen Schlüssen.

von Niklas Kästner

Ein Hirsch überquert eine Straße in Schottland (Foto: caroline legg via Flickr, Lizenz: CC BY 2.0; zugeschnitten)

Wildunfälle kosten viele Tiere das Leben, verursachen beträchtliche Schäden an Kraftfahrzeugen und können nicht zuletzt auch für Menschen gefährlich werden. In einer aktuellen Untersuchung ist ein Forschungsteam der Frage nachgegangen, zu welchen Tages- und Jahreszeiten das Kollisionsrisiko besonders hoch ist – und welche Rolle dabei die Zeitumstellung spielt.

Im Rahmen der Studie trugen die Forschenden um Calum Cunningham und Laura Prugh Daten zum Verkehrsaufkommen und zu Wildunfällen in 23 US-Bundesstaaten zusammen. Insgesamt werteten sie rund eine Million Kollisionen aus, wobei es sich bei den Tieren in 90 Prozent der Fälle um Hirsche handelte.

Mehr Wildunfälle am Abend

Die Studie ergab, dass die Zahl der Wildunfälle in den Morgen- und Abendstunden am größten war – zu diesen Zeiten sind die Hirsche besonders aktiv. Ein Großteil der Kollisionen lag dabei jeweils in den Stunden vor Sonnenaufgang sowie nach Sonnenuntergang, vermutlich weil die Tiere in dieser Zeit für die Autofahrenden schlechter zu erkennen sind. Darüber hinaus kamen Wildunfälle am Abend deutlich häufiger vor als am Morgen – was wahrscheinlich am zu dieser Zeit höheren Verkehrsaufkommen lag.

Mehr Wildunfälle im Herbst

Auch bezüglich der Jahreszeit waren die Wildunfälle ungleich verteilt: Am meisten Kollisionen gab es im Herbst, mit Höhepunkt im Oktober und November. Ursache dafür ist aller Wahrscheinlichkeit nach die in diesem Zeitraum liegende Hirschbrunft, während derer insbesondere die Männchen außergewöhnlich aktiv sind.

Einfluss der Zeitumstellung im Herbst

Ausgerechnet in dieser Phase werden in den USA die Uhren von der Sommer- auf die Winterzeit zurückgestellt. Die Umstellung Anfang November führt den Ergebnissen der Forschenden zufolge dazu, dass deutlich mehr Verkehrsteilnehmende nach Sonnenuntergang unterwegs sind – also dann, wenn das Risiko für Zusammenstöße mit Wildtieren besonders hoch ist. Das hat offenbar Folgen: In den Wochen nach der Zeitumstellung stieg die Zahl der Wildunfälle um 16 Prozent. Die umgekehrte Zeitumstellung im Frühjahr – also außerhalb der Brunftzeit – wirkte sich hingegen nicht merklich auf die Zahl der Kollisionen aus.

Weniger Wildunfälle durch dauerhafte Sommerzeit?

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse berechneten die Forschenden, wie sich eine Abschaffung der Zeitumstellung in den USA auf das Risiko von Wildunfällen auswirken würde. Die Einführung der dauerhaften Sommerzeit wäre danach für Menschen und Tiere von Vorteil: Dadurch läge der Höhepunkt des täglichen Verkehrsaufkommens im Großteil der USA während des gesamten Winters vor dem Sonnenuntergang. Das würde zu einer erheblichen Reduktion der Wildunfälle führen – die jährlich etwa 36.000 Hirschen und 33 Menschen das Leben retten könnte. Eine dauerhafte Winterzeit hätte hingegen den gegenteiligen Effekt: rund 74.000 Hirsche und 66 Menschen kämen zusätzlich ums Leben.

Die Chronobiologin und Schlafforscherin Eva Winnebeck mahnt jedoch in einem parallel zur Studie veröffentlichten Artikel zur Vorsicht: Es gäbe viele andere Faktoren, die es bei einer möglichen Abschaffung der Zeitumstellung zu berücksichtigen gelte. Unter anderem könnte eine dauerhafte Sommerzeit dazu führen, dass Autofahrende unausgeschlafener unterwegs sind, was sich wiederum fatal auf die Zahl der Verkehrsunfälle auswirken könnte. Winnebeck spricht sich stattdessen dafür aus, die Ergebnisse des Forschungsteams zu nutzen, um zielgerichtete Maßnahmen zur Verringerung des Wildunfall-Risikos einzuführen: Zum Beispiel eine vorübergehende Geschwindigkeitsbegrenzung während der Brunft der Hirsche im Herbst.

Fazit

Unabhängig davon, welche Schlüsse man aus der Studie des Teams um Cunningham und Prugh zieht: Sie liefert wertvolle Erkenntnisse dazu, wie die Berücksichtigung von tages- und jahreszeitlichen Schwankungen im Verhalten von Tieren dazu beitragen kann, Zusammenstöße mit ihnen zu vermeiden. Darüber hinaus trägt sie dazu bei, die vielerorts emotional geführten Debatten um die „richtige Zeit“ auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen – auch wenn die Zahl der Wildunfälle dabei nicht den Ausschlag geben dürfte.


Zur Fach-Publikation:
Cunningham, C. X.; Nuñez, T. A.; Hentati, Y.; Sullender, B.; Breen, C.; Ganz, T. R. (…) & Prugh, L. R. (2022): Permanent daylight saving time would reduce deer-vehicle collisions. Current Biology 32.

Weitere Literatur:
Winnebeck, E. C. (2022): Chronobiology: Is daylight saving time a deer saving time? Current Biology 32.

Wir freuen uns über Anmerkungen, Fragen oder Feedback im Kommentarbereich! Allerdings behalten wir uns vor, Kommentare zu löschen, die unserer Meinung nach rechtswidrig oder aus anderen Gründen unangemessen sind. Bitte beachten Sie auch die Hinweise zur Kommentarfunktion in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert