Gasförderung bremst wandernde Hirsche aus

Es müssen nicht immer unüberwindbare Barrieren sein: Eine aktuelle Studie an nordamerikanischen Großohrhirschen zeigt, dass menschliche Aktivitäten Tierwanderungen auch dann beeinträchtigen können, wenn sie das Durchqueren eines Gebiets nicht direkt verhindern.

von Niklas Kästner

zwei weibliche Großohrhirsche stehen auf einem Waldweg
Zwei weibliche Großohrhirsche (Foto: USFWS Mountain-Prairie via Flickr, zugeschnitten)

Jedes Jahr ziehen Großohrhirsche (Odocoileus hemionus, auch Maultierhirsche genannt) im Nordwesten der USA mit dem nach und nach sprießenden Frühlingsgrün durch das Land. Die jungen Pflanzenteile sind sowohl proteinreich als auch leicht verdaulich und für die Tiere eine wertvolle Nahrungsquelle. In der Fachliteratur bezeichnet man ein solches Wanderverhalten, das sich auch bei anderen Huftieren beobachten lässt, als „green wave surfing“ – also als Reiten auf der grünen Welle.

In einem Teil des Bundesstaats Wyoming gelingt den Großohrhirschen dieses Wellenreiten seit einigen Jahren allerdings immer schlechter. Grund dafür ist laut der aktuellen Studie eines Forschungsteams um Ellen Aikens und Matthew Kauffman die zunehmende Förderung von Erdgas in diesem Gebiet. Die Forschenden besenderten in den letzten 14 Jahren insgesamt 120 Hirschkühe und verfolgten ihre Bewegungen während der Wanderungen im Frühjahr. Sie stellten fest: Die Fördergebiete schienen die Tiere regelrecht auszubremsen. Sie verweilten verhältnismäßig lang, bevor sie die Bereiche mit den Bohrlöchern durchquerten – und verloren dadurch offenbar den Anschluss an die grüne Welle. Dieser Effekt verstärkte sich mit dem fortschreitenden Ausbau der Gasförderung.   

Diese Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, als die Gasfördergebiete den Hirschen nicht direkt den Weg versperren. Das zeigt, dass menschliche Eingriffe in die Natur Tierwanderungen auch dann beeinflussen können, wenn sie keine absoluten Hindernisse darstellen – ein Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, wenn man ziehende Arten und ihre angestammten Routen schützen möchte.


Zur Fach-Publikation:
Aikens, E. O.; Wyckoff, T. B.; Sawyer, H. & Kauffman, M. J. (2022): Industrial energy development decouples ungulate migration from the green wave. Nature Ecology & Evolution.

Aus unserer Rubrik: „In aller Kürze“.

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