Tierischer Architekturstil: Nestbau-Traditionen bei Webervögeln

Die Nester benachbarter Weißbrauenweber-Gruppen unterscheiden sich teils erheblich in ihrer Beschaffenheit. Einer aktuellen Studie zufolge ist das weder auf örtliche Umweltbedingungen noch auf genetische Faktoren zurückzuführen – sondern auf gruppenspezifische architektonische Traditionen.

von Niklas Kästner

Ein Weißbrauenweber-Nest in der Kalahari (Foto: Bernard DUPONT via Flickr, Lizenz: CC BY-SA 2.0, zugeschnitten)

Weißbrauenweber (Plocepasser mahali) sind in afrikanischen Savannengebieten südlich der Sahara zuhause. Sie leben in kleinen Gruppen, deren Mitglieder sich gemeinschaftlich beim Bau der Nester betätigen. Diese aus Gras gewebten Strukturen errichten die Vögel nicht nur für das Brutgeschäft, sondern auch als Schlaflager. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Nesttypen: Während die Übernachtungsgelegenheiten jeweils eine Eingangs- und eine Ausgangsröhre enthalten, ist letztere bei für die Fortpflanzung vorgesehenen Nestern verschlossen und dient in diesem Fall als Kammer für die Eier. 

Unterschiede in Sachen Nestarchitektur

Weißbrauenweber beim Bau eines Nests (Video: Maria Cristina Tello Ramos, gekürzt)

Trotz der Einheitlichkeit in Bezug auf den grundsätzlichen Aufbau von Schlaf- und Brutnestern haben Forschende im Rahmen einer aktuellen Studie in der Kalahari festgestellt, dass sich die Bauwerke verschiedener Weißbrauenweber-Gruppen teils beträchtlich hinsichtlich ihrer konkreten Beschaffenheit unterscheiden. So variieren sie von Gemeinschaft zu Gemeinschaft unter anderem in Bezug auf ihre Größe sowie die Länge ihrer Eingangs- und Ausgangsröhre (bzw. Eikammer-Röhre). Wie lässt sich das erklären?

Kein Einfluss örtlicher Umweltbedingungen

Eine Möglichkeit wäre, dass die jeweiligen Umweltbedingungen wie Temperatur oder Windgeschwindigkeit unterschiedliche Anforderungen an die Eigenschaften der Nester mit sich bringen. Doch das Team um Maria Tello-Ramos und Susan Healy konnte keinerlei Zusammenhang zwischen dem örtlichen Klima im Lebensraum einer Weißbrauenweber-Gruppe und der Beschaffenheit ihrer Nester entdecken. Tatsächlich unterschieden sich diese auch bei direkt benachbarten Gemeinschaften mitunter beträchtlich.

Kein Einfluss genetischer Faktoren

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass dem unterschiedlichen Nestbauverhalten genetische Faktoren zugrunde liegen. Aber auch diese Erklärung konnten die Forschenden ausschließen: Ihre Analysen ergaben, dass sich die Verwandtschaftsverhältnisse der Vögel keineswegs im Aussehen ihrer Nester widerspiegelten.

Traditionen als plausibelste Erklärung

Damit erscheint eine weitere Möglichkeit als plausibelste Erklärung, die man in Bezug auf den Nestbau bei Vögeln bislang kaum in Erwähnung gezogen hat: Und zwar, dass es bei den Weißbrauenweber-Gruppen bestimmte Bautraditionen gibt, die innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten werden, indem die Tiere voneinander lernen. Dazu passt, dass jüngere Untersuchungen gezeigt haben, dass sich die Erfahrungen von Vögeln durchaus auf ihr Nestbauverhalten auswirken können.

Fazit

Traditionen galten einst als Alleinstellungsmerkmal des Menschen. In den letzten Jahren ist jedoch immer deutlicher geworden, dass sich solche kulturellen Phänomene auch bei vielen anderen Tierarten finden – beispielsweise in Form von Dialekten oder bestimmten Beutevorlieben. Nun legen die Ergebnisse der aktuellen Studie nahe, dass wir auch die Architekturstile der Weißbrauenweber in diese Reihe stellen können. Wie genau sich die unterschiedlichen Bautraditionen herausbilden und wie beständig sie über die Zeit sind, gilt es dabei in zukünftigen Studien zu ergründen.


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