Eine aktuelle Studie zeigt, dass Schmalbrustameisen bedeutend länger leben, wenn sie von einem Bandwurm befallen sind. Sie verströmen anscheinend spezielle chemische Signalstoffe – die ihre Nestgenossinnen dazu veranlassen, sie besonders fürsorglich zu behandeln.
Wenn Parasiten andere Tiere befallen, beeinträchtigen sie üblicherweise deren Leben – und verkürzen es dadurch teilweise deutlich. Umso erstaunlicher ist die außergewöhnliche Entdeckung, die Forschende in einer aktuellen Studie beschreiben: Schmalbrustameisen der Art Temnothorax nylanderi, die von einem Bandwurm befallen sind, leben wesentlich länger als ihre nicht befallenen Nestgenossinnen. Dabei scheinen chemische Signalstoffe der Tiere mit Parasiten dafür zu sorgen, dass die übrigen Koloniemitglieder sie vermehrt umsorgen.
Die Studie
Die winzigen Schmalbrustameisen sind in Mitteleuropa weit verbreitet und leben in Kolonien mit bis zu wenigen hundert Individuen in Eicheln oder Totholz auf dem Waldboden. Die Insekten werden immer wieder Opfer des Bandwurms Anomotaenia brevis, dessen Larven in ihrem Hinterleib (Abdomen) heranwachsen. Ein Team um die Wissenschaftlerinnen Sara Beros und Susanne Foitzik untersuchte, wie sich der Wurmbefall auf die Lebenserwartung der Ameisen auswirkt.
Bandwürmer steigern Lebensdauer
Zunächst sammelten die Forschenden 58 Ameisenkolonien aus Wäldern rund um Mainz und siedelte sie ins Labor um. In rund der Hälfte davon lebte mindestens ein Tier, das vom dem Bandwurm befallen war. Anschließend markierten sie jeweils einige Arbeiterinnen pro Nest und verfolgten ihr Schicksal über mehrere Jahre. Dabei stellten sie fest, dass der Parasitenbefall die Lebensdauer der Ameisen deutlich verlängerte: Während nach drei Jahren fast alle Tiere ohne Bandwurm gestorben waren, lebte von den befallenen Tieren noch gut die Hälfte!
Befallene Ameisen genießen besondere Fürsorge
Im Normalfall bringt ein Befall durch Parasiten negative Konsequenzen mit sich. Wie lässt sich also die gesteigerte Lebensdauer der betroffenen Arbeiterinnen erklären? Einen möglichen Grund dafür lieferte ein weiterer Versuch, in dem die Forschenden das Verhalten der Ameisen beobachteten.
Es zeigte sich: Ameisen, die von den Bandwürmern befallen waren, genossen besondere Fürsorge durch ihre Nestgenossinnen. Sie wurden häufiger gefüttert, geputzt und umsorgt als wurmfreie Tiere – und sogar häufiger als die Königin.
Signalstoffe locken Nestgenossinnen
Auf der Suche nach einer Erklärung für die auffallende Zuwendung untersuchten die Forschenden, ob die befallenen Ameisen besondere Signale aussenden. Dafür sammelten sie bestimmte chemische Komponenten ihrer äußeren Hülle, die bei Insekten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation einnehmen (sogenannte kutikulare Kohlenwasserstoffe).
Das Team gewann Duftstoffe von befallenen und von nicht befallenen Mitgliedern derselben Kolonien – und ließ ihre Nestgenossinnen anschließend zwischen beiden wählen. Das Ergebnis: Der Geruch der befallenen Ameisen lockte die anderen Tiere wesentlich stärker an. Das lässt darauf schließen, dass dessen chemische Zusammensetzung die Vorzugsbehandlung durch die jeweiligen Nestgenossinnen fördert.
Fazit
Die Studie offenbart ein außergewöhnliches Phänomen, bei dem Schmalbrustameisen mit Bandwurmbefall eine deutlich höhere Lebenserwartung haben als ihre nicht betroffenen Nestgenossinnen. Das liegt anscheinend unter anderem an der besonderen Fürsorge, die ihre Koloniemitglieder ihnen entgegenbringen.
Aber wie lässt es sich erklären, dass die betroffenen Ameisen wider Erwarten von dem Wurmbefall profitieren? Die Autor*innen halten es für möglich, dass der Bandwurm ihre verlängerte Lebensdauer verursacht, weil sie ihm nutzt. Die Ameisen sind für die Larven des Parasiten nur ein Zwischenwirt. Erst im Darm von Spechten entwickeln sie sich zu ausgewachsenen Bandwürmern. Daher sind sie darauf angewiesen, dass die von ihnen befallenen Ameisen von den Vögeln gefressen werden – und die Wahrscheinlichkeit dafür ist umso größer, je länger diese am Leben sind.
Zur Fach-Publikation:
Beros, S.; Lenhart, A.; Scharf, I.; Negroni, M. A.; Menzel, F. & Foitzik, S. (2021): Extreme lifespan extension in tapeworm-infected ant workers. Royal Society Open Science 8: 202118.
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Krass. Danke für die spannenden Artikel! Dieser und der mit dem Fliegenkadaver-Paarung sind echt interessant! Vielen vielen Dank. Toll geschrieben 🙂