Vertrauen durch Fellpflege – Beziehungsaufbau beim Gemeinen Vampir

Der Gemeine Vampir ernährt sich von Blut. Hatte ein Tier einer Gruppe keinen Jagderfolg, wird ihm häufig von einem Artgenossen ausgeholfen. Bei entsprechender Gelegenheit wird diese Hilfe dann erwidert. Eine aktuelle Studie untersuchte den Ursprung solcher „Blutspende“-Beziehungen.

von Niklas Kästner

Ein Vampir
Ein Gemeiner Vampir (Foto: Uwe Schmidt via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Der Gemeine Vampir (Desmodus rotundus) macht seinem Namen alle Ehre: Die in Süd- und Mittelamerika sowie in Mexiko beheimatete Fledermaus ernährt sich vom Blut größerer Tiere. Allerdings ist nicht nur ihre Ernährungsweise ziemlich spannend, sondern auch ihr Sozialverhalten.

Weibliche Vampire bilden stabile Gruppen und nutzen am Tag gemeinsame Quartiere. Wenn ein Tier einmal erfolglos von der nächtlichen Nahrungssuche zurückkehrt, wird ihm häufig von einer Artgenossin ausgeholfen: Sie gibt ihm etwas von ihrer eigenen Blutmahlzeit ab, indem sie einen Teil davon hervorwürgt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist besonders hoch, wenn ihr das profitierende Tier zuvor auch schon einmal geholfen hat. Man spricht in einem solchen Fall von reziprokem Altruismus („gegenseitige Uneigennützigkeit“).

Die Studie

Aber wie beginnt eine solche auf gegenseitiger Unterstützung basierende Beziehung zwischen zwei Tieren? Diese Frage untersuchte ein Team um den Forscher Gerald Carter und seine Kollegin Rachel Page in einer aktuellen Studie. Dazu beobachteten die Wissenschaftler*innen das Enstehen von neuen „Blutspende“-Beziehungen in von ihnen zusammengestellten Vampir-Gruppen. Diese umfassten erwachsene Weibchen aus zwei wildlebenden Populationen und einige jüngere, in Menschenhand geborene Vampire.

Das Ergebnis

Das Team entdeckte, dass sich eine entstandene Beziehung zwischen zwei Tieren nicht nur am Teilen einer Blutmahlzeit erkennen ließ, sondern auch an einer weiteren sozialen Verhaltensweise: dem Groomen (also der gegenseitigen Körperpflege). Bei Vampiren umfasst dieses Verhalten das Belecken und Bekauen des Fells oder der Flügel eines anderen Tiers. Es zeigte sich, dass Tiere, die sich gegenseitig Blut abgaben, einander wesentlich häufiger groomten als solche, bei denen das nicht der Fall war. Besonders interessant dabei war allerdings der zeitliche Aspekt: Schon in den Wochen bevor ein bestimmtes Tier das erste Mal Blut an ein anderes abgab, stieg die Häufigkeit, mit der es von diesem Tier gegroomt wurde, stark an. Bei anderen Tieren hingegen blieb die Grooming-Rate fortwährend auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.

Die Interpretation

Die Autor*innen der Studie sehen im festgestellten Verhalten der Gemeinen Vampire ein Beispiel für das sogenannte „raising-the-stakes“-Modell („den Einsatz erhöhen“). Nach diesem Modell testen zwei Individuen erst mit geringen Einsätzen, ob der jeweilige Partner verlässlich ist, bevor sie höhere Kosten für die Beziehung in Kauf nehmen. Auf die Vampire bezogen heißt das: Die Tiere investieren zunächst wenig in einen neuen Sozialpartner, indem sie ihn selten groomen. Wenn dieses Tier die Investition entsprechend erwidert, erhöhen sie allmählich den Einsatz und groomen häufiger. Ist so nach einer Weile Vertrauen entstanden, kommt es letztlich auch zum kostenintensiven Teilen einer Blutmahlzeit.

Fazit

Gemeine Vampire können ohne Nahrung nicht allzu lange überleben. Daher ist es ein recht großes Opfer, wenn ein Tier einem Artgenossen etwas von seiner Mahlzeit abgibt. Es erscheint also durchaus plausibel, dass die Tiere die Beziehung zu neuen Sozialpartnern zunächst durch allmähliche Intensivierung der gegenseitigen Körperpflege auf sichere Füße stellen, bevor sie vollen Einsatz zeigen.


Zur Fach-Publikation:
Carter, G. G.; Farine, D. R.; Crips, R. J.; Vrtilek, J. K.; Ripperger, S. P. & Page, R. A. (2020): Development of new food-sharing relationships in vampire bats. Current Biology 30: 1-5.

Weitere Literatur:
Wilkinson, G. S. (1985): The social organization of the common vampire bat. I. Pattern and cause of association. Behavioral Ecology and Sociobiology 17: 111-121.

Wilkinson, G. S. (1984): Reciprocal food sharing in the vampire bat. Nature 308: 181-184.

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