Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge verfügen Mäuse über eine Reihe angeborener Verhaltensweisen, mit denen sie ihren Sozialpartnern helfen, wenn diese das Bewusstsein verlieren. Dazu zählen unter anderem das Herausziehen der Zunge und das Entfernen von Fremdkörpern.

Wenn eine Person in unserer Gegenwart bewusstlos wird, dann ergreifen wir im besten Fall umgehend Maßnahmen, um ihr zu helfen. Wie wir dabei am besten vorgehen, lernen wir sogar in speziellen Erste-Hilfe-Kursen. Doch wie reagieren Tiere eigentlich in einer vergleichbaren Situation?
Bislang gab es diesbezüglich lediglich anekdotische Berichte von Forschenden, die zufällig beobachteten, wie ein Tier im Beisein von Sozialpartnern das Bewusstsein verlor oder starb. Doch nun hat ein Team in einer Studie ganz gezielt untersucht, wie Mäuse (Mus musculus) sich gegenüber einem reglosen Artgenossen verhalten. Das überraschende Ergebnis: Die Nagetiere besitzen offenbar eine Art angeborenes Erste-Hilfe-Programm.
Intensive Beschäftigung mit reglosen Sozialpartnern
Im Rahmen der Studie konfrontierten die Forschenden um Wenjian Sun, Guang-Wei Zhang und Li Zhang Mäuse in ihrem Heimatkäfig mit narkotisierten Artgenossen. Dabei stellten sie zunächst fest, dass die Tiere sich außergewöhnlich stark mit dem bewusstlosen Gegenüber beschäftigten: Während sie dieses zunächst beschnupperten, bearbeiten sie mit der Zeit zunehmend intensiv seine Gesichtsregion mit ihrem Maul. Letzteres war allerdings fast ausschließlich dann der Fall, wenn es sich um ein vertrautes Tier handelte – bei einem fremden hingegen blieb es eher beim Beschnuppern.
Ziehen an der Zunge führt zu Erweiterung der Luftwege
In weiteren Versuchen nahmen die Forschenden das Verhalten der Mäuse mit Hilfe einer hochauflösenden Hochgeschwindigkeitskamera genauer unter die Lupe. Die Auswertung der Aufnahmen ermöglichte ihnen, die Beschäftigung der Tiere mit dem Gesichtsbereich ihres bewusstlosen Sozialpartners bis ins Detail zu analysieren. Dabei zeigte sich: Zum einen beleckten die Mäuse intensiv dessen Augen, zum anderen bissen sie in seine Zunge und zogen daran. In der Hälfte der Fälle führte dies dazu, dass die Zunge anschließend aus dem Mund der Tiere hervorstand – eine Maßnahme, die weiteren Analysen zufolge in einer deutlichen Erweiterung der Luftwege resultierte.
Fremdkörper werden aus dem Maul beseitigt
In einem ihrer Experimente beobachteten die Forschenden durch Zufall, wie eine Maus einen Fremdkörper aus dem Maul eines bewusstlosen Artgenossen entfernte. Um dieses Verhalten näher zu untersuchen, führten sie einen zusätzlichen Versuch durch. Dabei konfrontierten sie Mäuse mit narkotisierten Artgenossen, in deren Maul sie zuvor jeweils eine kleine Kunststoffkugel platziert hatten. Das Ergebnis war deutlich: In 80 Prozent der Fälle entfernten die Mäuse die Kugel innerhalb des Versuchszeitraums von 13 Minuten.
Kontakt mit Sozialpartner bringt Mäuse schneller auf die Beine
Die Untersuchungen belegen, dass Mäuse sich mit großem Einsatz um bewusstlose Sozialpartner kümmern. Doch entfalten diese Maßnahmen tatsächlich auch eine Wirkung? Weiteren Ergebnissen der Forschenden zufolge scheint das der Fall zu sein. So führte das Belecken der Augen und das Ziehen an der Zunge dazu, dass die Körper der reglosen Mäuse immer wieder zuckten, es hatte also offenbar einen stimulierenden Effekt. Und nicht nur das: Das Team stellte darüber hinaus fest, dass narkotisierte Mäuse mit Kontakt zu einem Artgenossen deutlich schneller wieder auf die Beine kamen als Mäuse, die während der Narkose allein blieben.
Fazit
Die Studie lässt darauf schließen, dass Mäuse gegenüber bewusstlosen Sozialpartnern eine Art Erste Hilfe leisten. So befreien sie deren Maul offenbar von Fremdkörpern und ziehen zudem ihre Zunge heraus – beides Maßnahmen, die zu einer erleichterten Atmung führen können. Zudem stellen die Bisse im Maulbereich sowie das Belecken der Augen offenbar eine starke Stimulation dar, die dazu beitragen könnte, dass die Tiere schneller wieder das Bewusstsein zurückerlangen.
Dass sich Mäuse offenbar mit derartigem Aufwand für die Gesundheit ihrer Artgenossen einsetzen, ist zweifellos beeindruckend. Und die Erkenntnisse der Forschenden werden sogar durch die Ergebnisse eines weiteren Teams gestützt, die parallel in derselben Fachzeitschrift erschienen sind. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass die Tiere in Bezug auf ihre Hilfsmaßnahmen planvoll vorgehen und wissen, was sie tun. Vielmehr können wir davon ausgehen, dass es sich um instinktive Verhaltensweisen handelt, die in Anwesenheit eines bewusstlosen Sozialpartners ausgelöst werden. Die stammesgeschichtliche Entwicklung dieser Veranlagung ließe sich damit erklären, dass die Tiere so die Überlebenschancen ihrer Artgenossen verbessern können – wovon sie aus evolutionärer Sicht unter anderem dann profitieren, wenn sie mit diesen nah verwandt sind.
Zu den Fach-Publikationen:
Sun, W.; Zhang, G.-W.; Huang, J. J.; Tao, C.; Seo, M. B.; Tao, H. W. & Zhang, L. (2025): Reviving-like prosocial behavior in response to unconscious or dead conspecifics in rodents. Science.
Sun, Y.; Wu, E. & Hong, W. (2025): A neural basis for prosocial behavior toward unresponsive individuals. Science.
Sheeran, W. M. & Donaldson, Z. R. (2025): An innate drive to save a life. Science.
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