Kennen Bonobos soziale Verpflichtungen?

Wenn wir mit jemandem in eine Interaktion vertieft sind, brechen wir diese nicht einfach wortlos ab. Kennen auch Bonobos eine solche soziale Verpflichtung? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie lassen sich zumindest so interpretieren.

von Niklas Kästner

Bonobos bei der Fellpflege
Bonobos bei der Fellpflege (Foto: mmcclain90 via Pixabay, zugeschnitten)

Stellen Sie sich vor, Sie unterhalten sich gerade mit einer Bekannten. Plötzlich ruft jemand hinter Ihnen grüßend Ihren Namen. In dieser Situation werden Sie sich vermutlich bei Ihrer Gesprächspartnerin entschuldigen, sich umsehen und zurückgrüßen – und anschließend sofort die Unterhaltung wieder aufnehmen. Wie ausführlich die Entschuldigung ausfällt, hängt dabei wahrscheinlich von der Beziehung zu Ihrer Bekannten ab.

Wir Menschen wissen, dass unser Gegenüber bestimmte Erwartungen an uns hat, wenn wir in eine gemeinsame Tätigkeit vertieft sind – unter anderem, dass wir diese nicht einfach abbrechen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer außergewöhnlichen Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Ob Tiere über ein ähnliches Gespür für die Verpflichtung während einer gemeinsamen Aktivität haben, ist weitgehend unklar. Doch Wissenschaftler*innen haben in einer aktuellen Studie bei Bonobos (Pan paniscus) zumindest Hinweise darauf gefunden.

Die Studie

Ein Forschungsteam um Raphaela Heesen und Emilie Genty beobachtete eine 17-köpfige Bonobogruppe im Tierpark „La Vallée des Singes“ in Frankreich. Wie viele andere Primaten verbringen die Zwergschimpansen viel Zeit mit gegenseitigem Groomen (Fellpflege, „Lausen“). Die Wissenschaftler*innen untersuchten, wie die Tiere auf Unterbrechungen bei einer solchen Interaktion reagierten – abhängig davon, ob sie gerade gekrault wurden oder selbst kraulten. Zum Vergleich erfassten sie auch die Reaktion von Bonobos, die gestört wurden, während sie sich selbst groomten oder allein spielten. Die Unterbrechungen wurden jeweils durch eine Person aus dem Tierpflegeteam herbeigeführt: Diese schob ein Tor auf und zu oder rief einen der Bonobos, um ihm eine Belohnung zu geben.

Das Ergebnis

Wurden die Bonobos abgelenkt, während sie mit einem anderen Tier interagierten, kehrten sie anschließend meist umgehend zu diesem zurück – und zwar erstaunlicherweise besonders häufig, wenn sie in der Position des „Kraulenden“ gewesen waren. Es ging ihnen also nicht nur um ihr eigenes Vergnügen. Bonobos, die sich allein beschäftigt hatten, setzten ihr vorheriges Verhalten nach der Ablenkung hingegen deutlich seltener fort.

Darüber hinaus beobachteten die Forscher*innen, dass die Bonobos oft verstärkt mit ihren Sozialpartnern kommunizierten, wenn sie das Groomen unterbrachen. Interessanterweise war das umso häufiger der Fall, je höher der Rang des anderen Tieres und je schwächer die Bindung zu diesem war.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie könnten bedeuten, dass die Zwergschimpansen tatsächlich ein Gespür für ihre Verpflichtung während einer sozialen Interaktion haben. Zumindest würde man entsprechendes Verhalten bei Menschen so interpretieren.

Beweisen lässt sich diese Annahme anhand der Beobachtungen allerdings nicht. Für die Wiederaufnahme des Groomens ließen sich alternative Erklärungen finden. Und auch wenn die verstärkte Kommunikation bei einer Unterbrechung wie eine „Entschuldigung“ wirkt – was die Tiere dadurch wirklich ausdrücken, bleibt uns verborgen. Dennoch: Bei allem, was wir über die Fähigkeiten der Zwergschimpansen wissen, ist ihnen das Empfinden einer sozialen Verpflichtung zumindest durchaus zuzutrauen.


Zur Fach-Publikation:
Heesen, R.; Bangerter, A.; Zuberbühler, K.; Rossano, F.; Iglesias, K.; Guéry, J.-P. & Genty, E. (2020): Bonobos engage in joint commitment. Science Advances 6: eabd1306.

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