Junge Orang-Utans beobachten ältere Artgenossen oft intensiv bei der Nahrungssuche – schließlich lässt sich dadurch eine Menge lernen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass weibliche Jungtiere deutlich stärkeres Interesse an den Ernährungsgewohnheiten ihrer Mütter zeigen als männliche.
Orang-Utans werden erst im Alter von etwa sechs bis acht Jahren von ihren Müttern entwöhnt. Während dieser Phase gibt es für die jungen Menschenaffen eine ganze Menge zu lernen – zum Beispiel, welche der vielen Pflanzenarten im Regenwald sich als Nahrung eignen. Daher verwundert es nicht, dass der Orang-Utan-Nachwuchs mit zunehmendem Alter verstärkt die Ernährungsgewohnheiten älterer Artgenossen beobachtet. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Männchen und Weibchen dabei allerdings auf unterschiedliche „Vorbilder“ setzen.
Die Studie
Im Rahmen der Untersuchung analysierte ein Forschungsteam um Beatrice Ehmann und Caroline Schuppli Daten aus Langzeitbeobachtungen an Sumatra- (Pongo abelii) und Borneo-Orang-Utans (Pongo pygmaeus). Über 13 bzw. 15 Jahre waren Expert*innen immer wieder Jungtieren im Alter von zwei bis acht Jahren gefolgt. Dabei hatten sie jedes Mal notiert, wenn ein Tier einen Artgenossen für länger als fünf Sekunden bei der Nahrungsaufnahme beobachtete – insgesamt gut 3000 Mal.
Das Ergebnis
Es zeigte sich: Im Alter von zwei Jahren beobachteten sowohl männliche als auch weibliche Jungtiere vor allem ihre Mutter beim Fressen. Erst mit steigendem Alter richteten sie ihre Aufmerksamkeit zunehmend auch auf andere Artgenossen. Während sich die Weibchen ab einem Alter von vier bis fünf Jahren jedoch wieder stärker auf ihre Mütter konzentrierten, nahm das Interesse der Männchen an deren Ernährungsgewohnheiten immer weiter ab. Dazu passt, dass sich das Nahrungsrepertoire der weiblichen Jungtiere im Alter von acht Jahren stärker mit dem ihrer Mütter überschnitt als das der männlichen Jungtiere.
Die Wissenschaftler*innen untersuchten auch, welche Artgenossen die jungen Orang-Utans abgesehen von ihrer Mutter am häufigsten beobachteten. Dabei ergab sich erneut ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern: Männliche Jungtiere nahmen vor allem das Verhalten von Artgenossen in den Blick, die in das jeweilige Gebiet eingewandert waren – bei weiblichen Jungtieren waren es hingegen vor allem Tiere, die aus dem jeweiligen Gebiet stammten.
Fazit
Die Studie gibt einen faszinierenden Einblick in das soziale Lernen bei jungen Orang-Utans. Doch wie lassen sich die beobachteten Geschlechtsunterschiede erklären? Die Forschenden vermuten, dass sie mit dem weiteren Lebensweg der Tiere zusammenhängen.
Weibliche Orang-Utans lassen sich als Erwachsene meist nicht weit entfernt vom Streifgebiet ihrer Mütter nieder. Die weiblichen Jungtiere profitieren daher langfristig vermutlich besonders vom Wissen ihrer Mütter und anderer „einheimischer“ Artgenossen über das örtliche Nahrungsangebot.
Männliche Orang-Utans wandern hingegen als Heranwachsende oft erhebliche Strecken von ihrem Geburtsgebiet ab. Für sie dürfte es sich deshalb mehr lohnen, die Ernährungsgewohnheiten eingewanderter Artgenossen genauer zu studieren. Darüber hinaus könnte es auch eine Rolle spielen, dass es sich bei den zugewanderten erwachsenen Tieren um Männchen handelt – die für junge Geschlechtsgenossen vielleicht besonders wertvolle Vorbilder darstellen.
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