In einer aktuellen Studie untersuchten Forschende, wie ein effizienterer Ansatz zur Problemlösung eine vorherrschende Tradition in Meisengruppen ablöst. Es zeigte sich: Wechselte das Team regelmäßig einzelne Tiere gegen neue aus, setzte sich die effizientere Methode häufiger durch.
Auch im Tierreich gibt es Traditionen: Verhaltensweisen, die innerhalb einer Gruppe durch soziales Lernen weitergegeben werden, auch über Generationen hinweg. Verhaltensbiolog*innen sprechen in diesem Zusammenhang seit einigen Jahren von Kultur (Englisch: animal culture) – etwas, das lange Zeit nur dem Menschen zugeschrieben wurde.
In einer aktuellen Studie untersuchten Forschende an verschiedenen Kohlmeisengruppen (Parus major), wie sich eine solche Verhaltenstradition veränderte. Alle Tiere gelangten zunächst mithilfe einer bestimmten Methode an eine Belohnung. Im Verlauf von vier Wochen setzte sich in einigen Gruppen allerdings eine effizientere Herangehensweise durch – und zwar insbesondere in Sozialverbänden, in denen die Forschenden ab und an einzelne Vögel durch neue ersetzten.
Die Studie
Die Wissenschaftler*innen Michael Chimento, Gustavo Alarcón-Nieto und Lucy Aplin fingen wilde Kohlmeisen ein und hielten diese anschließend in 18 Gruppen aus jeweils 6 Tieren in Volieren. Jede Gruppe hatte eine Apparatur zur Verfügung, an der die Vögel eine Belohnung ergattern konnten: Wenn sie eine Schiebetür zur Seite schoben, gelangten sie an ein Loch mit Mehlwürmern. Nachdem die Vögel drei Mal danach gepickt hatten oder drei Sekunden vergangen waren, schloss sich die Tür automatisch wieder.
Allerdings befand sich das Loch nicht zentral hinter der Schiebetür, sondern etwas versetzt: Wenn die Vögel von der blauen Seite schoben, mussten sie die Tür zwei Zentimeter zur Seite bewegen, um das Loch zu erreichen. Wenn sie von der roten Seite schoben, nur einen Zentimeter. Es gab also eine ineffiziente Methode (blaue Seite) und eine effiziente (rote Seite).
Zunächst brachten die Forscher*innen einem Vogel pro Gruppe die ineffiziente Herangehensweise bei und gaben den Meisen anschließend 12 Tage Zeit, damit sich die Verhaltensweise in den sozialen Verbänden verbreiten konnte. In dieser Phase blockierten sie die rote Seite der Schiebetür, damit die Vögel noch nicht auf die effizientere Methode stoßen konnten.
Anschließend startete das eigentliche Experiment: Das Team gab beide Seiten der Schiebetüren frei und beobachtete in den folgenden vier Wochen, ob die Meisengruppen an ihrer Tradition festhielten oder ob sich die effizientere Variante ausbreitete. Dabei blieb in 9 Gruppen die Zusammensetzung konstant, während sie sich in den übrigen 9 Gruppen veränderte: Dort tauschten die Wissenschaftler*innen jede Woche zwei Tiere gegen neue, der Wildnis entnommene Meisen aus.
Das Ergebnis
Die Kohlmeisen setzten im Laufe der Zeit zunehmend auf die effizientere Methode. Aber: In den Gruppen, in denen jede Woche neue Individuen dazukamen, war dieser Effekt deutlich stärker. Insgesamt schoben die Meisen in den stabilen Gruppen 1.592-mal von der roten Seite (ca. 1,8 %) – und die Meisen in den Gruppen mit „Zuwanderung“ 39.815-mal (ca. 47 %). Bei letzteren wurde die effiziente Herangehensweise in 7 der 9 Gruppen zur vorherrschenden Methode – bei ersteren nur in einer Gruppe.
Fazit
Die Studie ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie neue Individuen in einer sozialen Gruppe dazu beitragen können, dass Verhaltenstraditionen durch effizientere Methoden ersetzt werden. Interessanterweise lag das nicht daran, dass die Neuankömmlinge die innovative Herangehensweise öfter selbst entdeckten. Stattdessen übernahmen sie die bessere Methode häufiger, wenn sie diese beobachteten. Vögel, die schon lange von der blauen Seite schoben, beharrten hingegen eher auf diesem Verhalten. Auch in den stabilen Gruppen schoben immer wieder Meisen von der roten Seite aus, doch setzte sich dieses Vorgehen dort – bis auf eine Ausnahme – nicht durch.
Zur Fach-Publikation:
Chimento, M.; Alarcón-Nieto & Aplin, L. M. (2021): Population turnover facilitates cultural selection for efficiency in birds. Current Biology 31.
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