Helfende Kontrahenten: Mitreisende Milben unterstützen Totengräber im Wettkampf mit Schmeißfliegen

Milben, die auf Totengräbern zu Kadavern mitreisen, konkurrieren dort mit ihren Transporteuren. Wenn Schmeißfliegen allerdings als zusätzliche Kontrahenten dazustoßen, verhelfen die Milben den Käfern unter bestimmten Bedingungen sogar zu mehr Nachwuchs.

von Tobias Zimmermann

Ein Totengräber mit Milben
Ein Totengräber mit Milben (Foto: Syuan-Jyun Sun, zugeschnitten)

Totengräber verdanken ihren Namen der recht außergewöhnlichen Methode, mit der sie ihre Nachkommen aufziehen. Gemeinsam verarbeiten die Eltern den Kadaver eines kleinen Wirbeltiers in ein nahrhaftes Nest für ihre Larven. Dabei rollen sie das Aas üblicherweise zu einer Kugel, die sie im Erdreich vergraben. Das Weibchen legt unweit davon seine Eier in die Erde. Wenn die Käferlarven geschlüpft sind, gelangen sie durch ein Loch in die Kadaverkugel, das die Mutter zuvor hineingefressen hat.

Die elterliche Fürsorge der Totengräber endet meist nicht mit der Eiablage. Nach dem Schlüpfen füttern und verteidigen die Käfer weiterhin ihren Nachwuchs und fressen die Eier und Larven möglicher Futterkonkurrenten. Nach etwa einer Woche verlassen die Larven die spärlichen Reste ihres Aasnests, um zu sich zu verpuppen. Die Eltern fliegen dann weiter – meist, um den nächsten Kadaver zu besiedeln.

Totengräber bei der Brutpflege (Video: Syuan-Jyun Sun)

Tiertransport

Erwachsene Totengräber reisen selten ohne Passagiere. Verschiedene Milbenarten nutzen die Käfer als willkommenes Transportmittel. Das ist für die kleinen Spinnentiere besonders praktisch, da auch sie ihre Eier auf Kadavern ablegen. Die Milbennachkommen wachsen auf dem Aas so schnell heran, dass sie schon zur Weiterreise bereit sind, wenn die Käfereltern die Brutstätte wieder verlassen. Aufgrund ihres geringen Gewichts scheinen die Mitreisenden den Käfern nicht groß zur Last zu fallen. Auf dem Kadaver sieht es allerdings anders aus: Die Milben konkurrieren mit den Käferlarven um die Nahrungsquelle und fressen vereinzelt sogar die Eier der Totengräber.

Ein Dritter im Bunde

Mit Schmeißfliegen kommen weitere Widersacher ins Spiel: auch sie ernähren sich von Kadavern und nutzen diese als Brutstätte für ihre Eier. Sie sind besonders ernstzunehmende Konkurrenten, da sie frisches Aas wesentlich schneller aufspüren als Totengräber und ihre Eier in kürzester Zeit darauf ablegen. Die Eier von Schmeißfliegen stehen allerdings auch auf der Speisekarte von Milben – und so profitieren Schwarzhörnige Totengräber (Nicrophorus vespilloides) unter bestimmten Umständen sogar von der Anwesenheit von Milben der Art Poecilochirus carabi, wie eine aktuelle Studie der Wissenschaftler*innen Syuan-Jyun Sun und Rebecca Kilner eindrucksvoll zeigt.

Konkurrenz für die Totengräber: Schmeißfliegen (Foto: Soebe via Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Zusammenleben im Freiland

Um die komplexe Dreiecksbeziehung genauer zu untersuchen, stellten die Forscher*innen Versuchsapparaturen in einem Wald innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Tiere nahe der englischen Stadt Cambridge auf. Dafür vergruben sie an verschiedenen Stellen einen mit Erde gefüllten Blumentopf zur Hälfte im Waldboden und deckten ihn mit einem umgedrehten Blumentopf ab. Sun und Kilner legten einen Mauskadaver in die Apparatur und setzten ein Totengräberpaar dazu. Zu einem Teil dieser Brutstätten setzten sie zusätzlich eine bestimmte Anzahl Milben, während der andere Teil „milbenfrei“ blieb. Durch ein durchlöchertes „Dach“ konnten außerdem freilebende Schmeißfliegen ins Innere dieser Konstruktion gelangen.

Sobald sich die Käferlarven nach einigen Tagen vom Kadaver entfernten oder dieser komplett verzehrt war, zählten die Wissenschaftler*innen sämtliche Totengräber- und Schmeißfliegenlarven. Um einen möglichen Temperatureinfluss zu ermitteln, zeichneten sie während des Versuchs außerdem regelmäßig die Umgebungstemperatur auf.

Eine Frage der Temperatur

Interessanterweise beeinflusste in den milbenfreien Brutstätten die Umgebungstemperatur den Fortpflanzungserfolg beider Arten erheblich – allerdings mit gegensätzlichen Auswirkungen: Bei Totengräbern war die Anzahl der Nachkommen bei mittleren Temperaturen am höchsten, während sie bei niedrigeren und höheren Temperaturen merklich abnahm. Schmeißfliegen vermehrten sich hingegen am erfolgreichsten, wenn es eher kühl oder warm war, und hatten nur mäßigen Erfolg bei mittleren Temperaturen. Der Nachwuchs der Schmeißfliegen scheint den Käferlarven somit insbesondere bei niedrigeren und höheren Temperaturen überlegen zu sein.

Im Beisein von Milben veränderte sich dieses Bild jedoch grundlegend. In diesem Fall hatten die Käfer in kühlerer und wärmerer Umgebung wesentlich mehr Nachkommen als bei Abwesenheit der Milben – die Schmeißfliegen jedoch weniger. Demnach sind die Milben bei den jeweiligen Temperaturen entscheidende Helfer für den Totengräbernachwuchs, indem sie die Larven der Schmeißfliegen anscheinend auffressen und somit dezimieren. 

Details aus dem Labor

Um das Zusammenleben unter kontrollierten Bedingungen näher zu untersuchen, verfrachteten Sun und Kilner ihren Versuchsaufbau kurzerhand ins Labor. Dort ließen sie die Tiere in den unterschiedlichen Konstellationen erneut einen Kadaver besiedeln. Dabei beherbergte das Aas entweder nur Totengräber und Milben oder alle drei Arten gemeinsam. Die Brutstätten verwahrte das Team bei einer von drei verschiedenen Temperaturen, die den kühleren, mittleren oder wärmeren Außenbedingungen entsprachen.

Die Ergebnisse verdeutlichen die komplexe Rolle der Milben: Wenn keine Schmeißfliegen anwesend waren, verringerten die Milben den Fortpflanzungserfolg der Totengräber. Dieser negative Einfluss verschwand jedoch beim gemeinsamen Aufeinandertreffen der drei Arten. Wie im Freilandversuch führte das Beisein der Milben außerdem dazu, dass die Schmeißfliegen sich bei den niedrigeren und höheren Temperaturen deutlich schlechter vermehrten.

Gründe für die Hilfsbedürftigkeit

Milben steigern also den Erfolg von Totengräbern, wenn diese gemeinsam mit Schmeißfliegen um einen Kadaver konkurrieren. Aber wieso sind die Käfer ausgerechnet bei niedrigeren und höheren Temperaturen anfälliger und deshalb auf die „Hilfe“ der Milben angewiesen? Um diese Frage zu beantworten, ließen Sun und Kilner einige Schmeißfliegen allein unter den verschiedenen Temperaturbedingungen aufwachsen. Das Ergebnis: Die Fliegenlarven entwickelten sich bei der höheren Temperatur erheblich schneller.

Und bei niedrigeren Temperaturen? Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass die Totengräber unter diesen Bedingungen ihre Nester „unrunder“ bauten. Gleichzeitig zeigte sich: Je runder ein gebautes Nest war, desto weniger Schmeißfliegenlarven überlebten am Ende darauf.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie sind ein großartiges Beispiel für die Komplexität ökologischer Beziehungen: Milben können den Fortpflanzungserfolg von Totengräbern verringern – doch das hängt von den Bedingungen ab. Sind mit Schmeißfliegenlarven zusätzliche Konkurrenten involviert, verhelfen die Milben den Käfern sogar zu mehr Nachwuchs. Ganz besonders wirkt sich dies in extremen Temperaturbereichen aus, bei denen die Schmeißfliegen im Wettstreit um die begrenzte Nahrungsquelle normalerweise im Vorteil wären. 


Zur Fach-Publikation:

Sun, S.-J. & Kilner, R. M. (2020): Temperature stress induces mites to help their carrion beetle hosts by eliminating rival blowflies. eLife 9: e55649.

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