Neue Erkenntnisse zum sozialen Lernen: Schimpansen und Hummeln gelingt, was man bislang nur Menschen zutraute

Wir Menschen können uns Problemlösungen bei anderen abschauen, die so kompliziert sind, dass wir allein niemals darauf kommen würden. Zwei aktuelle Studien zeigen nun, dass auch Schimpansen und Hummeln dazu in der Lage sind.

von Niklas Kästner

Um an die Zuckerlösung in der gelben Vertiefung zu gelangen, müssen die Hummeln zuerst den blauen und dann den roten Regler bewegen (Foto: Queen Mary University of London)

Etwas, das uns Menschen ganz besonders von anderen Tieren unterscheidet, ist unsere erstaunliche kulturelle Entwicklung. Zwar ist mittlerweile bekannt, dass es kulturelle Phänomene auch bei anderen Arten gibt. Doch unsere Fähigkeit, auch umfangreiches Wissen aneinander weiterzugeben und immer wieder darauf aufzubauen, ist unerreicht. Man bezeichnet diesen Vorgang auch als kumulative (d.h. sich anhäufende bzw. steigernde) kulturelle Evolution.

Als entscheidende Voraussetzung für diese Entwicklung wird von einigen Forschenden angesehen, dass wir Menschen auch äußerst komplizierte Vorgehensweisen von anderen zu lernen – insbesondere solche, die so komplex sind, dass wir sie uns allein nicht erschließen könnten. Diese Fähigkeit galt bislang als Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Denn obwohl auch viele Tiere von ihren Artgenossen lernen können, ging man bislang davon aus, dass sich dadurch ihr Lernprozess bloß beschleunigte – und dass die Tiere die Verhaltensweisen durchaus auch durch Ausprobieren selbst hätten entdecken können. Doch nun zeigen gleich zwei parallel veröffentlichte Studien: Auch manche unserer tierischen Verwandten können sich von anderen abschauen, was ihnen allein nicht gelingen würde.

Ein Futterspender ohne Bedienungsanleitung

In der Auffangstation „Chimfunshi“ in Sambia leben Schimpansengruppen (Pan troglodytes) in großen, naturnahen Gehegen. Zwei dieser Gruppen stellte ein Forschungsteam um Edwin van Leeuwen und Josep Call über mehrere Monate einen speziellen Apparat zur Verfügung. Dieser gab eine Portion Erdnüsse aus – allerdings nur, wenn er entsprechend bedient wurde. Dazu mussten die Schimpansen eine Schublade herausziehen und einen von mehreren bereitliegenden hölzernen Bällen in ein darin befindliches Loch legen. Nachdem die Schublade mit dem Ball wieder geschlossen war, gab der Apparat die Nüsse frei. Die Frage hinter diesem Versuch: Würde es einem der insgesamt 66 Schimpansen gelingen, die Funktionsweise des Futterspenders durch Ausprobieren herauszufinden?

Ein Schimpanse inspiziert den Futterspender (Video: EJC van Leeuwen, Chimfunshi Wildlife Orphanage)

Es zeigte sich: Obwohl die Tiere immer wieder mit dem Apparat interagierten, schaffte es kein einziges, auf korrektem Weg eine Portion Nüsse zu ergattern (jeder Gruppe gelang es allerdings einmal, den Apparat aufzubrechen). Das Bild änderte sich allerdings dramatisch, nachdem die Forschenden jeweils einer Schimpansin pro Gruppe beigebracht hatten, den Futterspender zu bedienen: Nun lernten innerhalb von zwei Monaten vierzehn weitere Tiere das richtige Vorgehen, um den Apparat zum Ausspucken der Nüsse zu bewegen.

Parallelen zu Werkzeuggebrauch wildlebender Tiere

Interessant ist das Ergebnis insbesondere vor dem Hintergrund, dass Schimpansen auch unter natürlichen Bedingungen voneinander lernen, bestimmte Werkzeuge zu benutzen – zum Beispiel mit Steinen Nüsse zu knacken oder mit Stöckern Termiten zu angeln. Tatsächlich deutet eine vor kurzem veröffentlichte Studie darauf hin, dass es sich dabei ebenfalls um Verhaltensweisen handeln könnte, die sich ein einzelnes Tier durch Ausprobieren nur schwer erschließen kann. Im Rahmen dieser Untersuchung stellten Forschende wildlebenden Schimpansengruppen in Guinea, die im Gegensatz zu ihren Artgenossen in anderen Gebieten keine Nüsse knacken, alle dafür nötigen Utensilien bereit. Zusätzlich legten sie nach einiger Zeit bereits geöffnete Nüsse aus. Dennoch wurde im Verlauf von über einem Jahr kein Tier dabei beobachtet, wie es die bereitgelegten Werkzeuge erfolgreich zum Einsatz brachte.

Von Schimpansen zu Hummeln

Dass unsere nächsten Verwandten offenbar von anderen lernen können, was ihnen durch Ausprobieren allein nicht gelingt, ist zweifelsohne bemerkenswert. Noch erstaunlicher ist allerdings das Ergebnis einer zweiten nun veröffentlichten Studie. Darin haben Forschende die gleiche Fähigkeit bei einer Art nachgewiesen, mit der Schimpansen und Menschen nur ganz entfernt verwandt sind – und zwar bei der Erdhummel (Bombus terrestris).

Im Rahmen der Untersuchung konfrontierten die Forschenden um Alice Bridges und Lars Chittka Hummeln mit einer Apparatur, bei der die Tiere einen roten Regler schieben mussten, um eine durchsichtige Scheibe zu drehen, die dann den Zugang zu einer gelben Vertiefung mit Zuckerlösung freigab. Allerdings galt es zuvor erst, einen blauen Regler zur Seit zu schieben, der den roten Regler blockierte.

Diese Hummel beherrscht das richtige Vorgehen, um an die Zuckerlösung in der gelben Vertiefung zu gelangen (Video: Alice D. Bridges)

Erst Vorbilder führen zum Erfolg

Zwei Hummelkolonien konnten sich für zwölf Tage daran versuchen, dieses Problem zu lösen. Eine weitere hatte dafür sogar 24 Tage Zeit – was deutlich länger ist, als eine Hummel-Arbeiterin in der Natur für gewöhnlich zur Nahrungssuche ausfliegt. Dabei erhielten die Tiere zwischendurch immer wieder Zugang zu Apparaturen, bei denen Scheibe und Regler entfernt wurden, sodass sie die gelbe Markierung mit der Zuckerlösung verknüpfen konnten. Dennoch gelang es keinem einzigen Tier, bei einer verschlossenen Apparatur die entsprechenden Regler zu bewegen und so an die Belohnung zu gelangen.

Im nächsten Schritt brachten die Forschenden – analog zu der Studie mit den Schimpansen – einzelnen Hummeln das richtige Vorgehen bei. Anschließend gewährten sie diesen trainierten Tieren gemeinsam mit jeweils einer unerfahrenen Artgenossin wiederholt Zugang zur Apparatur. Und tatsächlich stellte sich nun der Erfolg ein: Nach 30 bis 40 Einheiten eines solchen „Einzelunterrichts“ hatten fünf von fünfzehn Hummeln gelernt, die beiden Regler korrekt zu bewegen, um an die Nahrung zu gelangen.

Fazit

Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen eindrucksvoll: Sowohl Schimpansen als auch Hummeln besitzen die Fähigkeit, sich von anderen abzuschauen, was ihnen allein nicht gelingt. Damit ist ein weiteres vermeintliches Alleinstellungsmerkmal des Menschen abgeräumt – und noch dazu eines, dass als entscheidender Faktor für unsere kulturelle Evolution diskutiert wird. Was lässt sich daraus schließen? Besitzen etwa auch Schimpansen und sogar Hummeln das Potenzial zu einer vergleichbaren kulturellen Entwicklung?

Der Verhaltensbiologe Alex Thornton zieht in einem parallel zu den beiden Studien erschienenen Begleitartikel einen anderen Schluss: Ihm zufolge legen die Ergebnisse vielmehr nahe, dass die in den Studien nun auch bei nicht-menschlichen Tieren nachgewiesene Fähigkeit nicht der ausschlaggebende Faktor für unsere herausragenden Kulturleistungen ist. Tatsächlich stellt sich mehr und mehr die Frage, ob es diesen einen Faktor überhaupt gibt. Thornton verweist diesbezüglich auf einen Artikel der Forschenden Kevin Laland und Amanda Seed aus dem Jahr 2021: Darin vertreten sie die Position, dass die „kognitive Einzigartigkeit“ des Menschen nicht wie lange angenommen auf bestimmte Fähigkeiten zurückzuführen ist, die andere Tiere nicht besitzen – sondern eher darauf, dass wir Menschen in besonders vielen unterschiedlichen kognitiven Bereichen außergewöhnlich begabt sind.


Zu den aktuellen Fach-Publikationen:
Van Leeuwen, E. J. C.; DeTroy, S. E.; Haun, D. B. M. & Call J. (2024): Chimpanzees use social information to acquire a skill they fail to innovate. Nature Human Behaviour.

Bridges, A. D.; Royka, A.; Wilson, T.; Lockwood, C.; Richter, J.; Juusola, M. & Chittka, L. (2024): Bumblebees socially learn behaviour too complex to innovate alone. Nature.

Thornton, A. (2024): Learning from others what cannot be learnt alone. Nature.

Weitere Literatur:
Laland, K. & Seed, A. (2021): Understanding human cognitive uniqueness. Annual Review of Psychology.

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