Gemeinsam stärker: Unterstützung zwischen Schleiereulen-Geschwistern

Im frühen Leben geht es zwischen Geschwistern bei der Nahrungskonkurrenz mitunter hoch her. Nicht so bei jungen Schleiereulen: Diese geben unter bestimmten Bedingungen sogar Nahrung an ihre Geschwister weiter.

von Tobias Zimmermann

Junge Schleiereulen
Junge Schleiereulen (Foto: Dave Lowe via Unsplash)

Besonders im frühen Leben verbindet Geschwister nicht immer eine einträchtige Beziehung. Bei Tieren in freier Wildbahn hat dies oftmals einen sehr naheliegenden Grund: Angesichts eines begrenzten Nahrungsangebots gilt es, sich gegen die geschwisterliche Konkurrenz durchzusetzen. Auf der anderen Seite können Geschwister aber auch voneinander profitieren und sich gezielt unterstützen. Das trifft beispielsweise auf Schleiereulen (Tyto alba) zu. Bei dieser Art geben die Jungvögel sogar manchmal Futter an ihre Geschwister weiter. Eine aktuelle Studie hat aufgedeckt, nach welchen Regeln das abläuft.

Verhandlungen um die nächste Mahlzeit

Bei Schleiereulen umfasst ein Gelege für gewöhnlich 4–6 Eier. Die Weibchen legen die einzelnen Eier jeweils im Abstand von durchschnittlich zweieinhalb Tagen. Da sie unmittelbar nach der Ablage des ersten Eis mit dem Brüten beginnen, schlüpfen die Jungvögel ebenfalls zeitversetzt. Der Entwicklungsvorsprung der früher geschlüpften Tiere gegenüber ihren jüngeren Geschwistern führt zu einem erheblichen Größenunterschied zwischen den Nachkommen.

Viele Jungtiere streiten sich um das Futter sobald ihre Eltern erfolgreich von der Nahrungssuche zurückkehren. Schleiereulen-Geschwister einigen sich hingegen schon vorher: Während die Eltern noch auf dem nächtlichen Beuteflug sind, handeln die Geschwister bereits untereinander aus, wem die nächste Mahlzeit zusteht. Je hungriger ein Jungvogel ist, desto ausdauernder stößt er eindringliche Rufe aus. Damit verdeutlicht er seine Motivation, um das erwartete Futter zu wetteifern. Als Folge stecken die weniger bedürftigen Geschwister zurück und reduzieren ihr Bemühen, wenn die Eltern samt Beute zum Nest zurückkehren. Dadurch steigt die Chance der hungrigsten Individuen, die bevorstehende Mahlzeit abzugreifen.

Doch die Rücksicht unter den Geschwistern geht noch weiter: Frühere Studien verdeutlichten bereits, dass die Jungvögel das erhaltene Futter sogar gelegentlich untereinander weiterreichen. Ein Team um die Wissenschaftlerin Pauline Ducouret und ihren Kollegen Alexandre Roulin nahm die dabei geltenden Regeln genauer unter die Lupe. Der Fokus lag unter anderem darauf, wie die Menge der verfügbaren Nahrung die Hilfsbereitschaft unter den Jungvögeln beeinflusst.

Die Studie

Das Forschungsteam untersuchte das Verhalten von insgesamt 127 Jungvögeln einer natürlichen Schleiereulen-Population in der Westschweiz. Die Tiere verteilten sich auf 27 bereitgestellte Nistkästen, die für die Beobachtungen mit Videokameras ausgestattet wurden. Um die Rufe der Tiere gezielt zuordnen zu können, versahen die Wissenschaftler*innen die Jungvögel zusätzlich mit kleinen Mikrofonen auf dem Rücken. Mit diesen Vorrichtungen nahmen sie das Verhalten der Nestbewohner an zwei aufeinanderfolgenden Nächten auf. Um die möglichen Auswirkungen der Nahrungsverfügbarkeit zu untersuchen, bekamen die Jungvögel vor einer der beiden Nächte zusätzliches Futter ins Nest gelegt – in Form von zwei toten Mäusen pro Jungvogel. Das enspricht in etwa der Hälfte ihrer üblichen Tagesration. 

Unter welchen Bedingungen wird Futter weitergegeben?

Die Menge der verfügbaren Nahrung beeinflusste die Futterweitergabe in erheblichem Maße. Das zusätzliche Futter sorgte dafür, dass Jungvögel deutlich häufiger Nahrung an eines ihrer Geschwister abtraten. Dazu passt, dass die Tiere ihr Futter umso häufiger weitergaben, je größer ihr nächtlicher Gesamtanteil der elterlichen Beute ausfiel. Auch das Alter (und damit das Gewicht) der Jungvögel hatte entscheidende Auswirkungen: Verglichen mit ihren jüngeren Geschwistern gaben ältere (und damit schwerere) Nestinsassen etwa fünfmal häufiger Nahrung an einen anderen Jungvogel weiter. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Futterweitergabe insbesondere dann auftritt, wenn die verbundenen Nachteile durch den eigenen Verzicht vergleichsweise gering sind.

An wen wird das Futter weitergegeben?

Das Team analysierte auch, wen die Vögel bevorzugt bei der Weitergabe der Nahrung bedachten. Zwei Faktoren waren ausschlaggebend: Zum einen durften sich vermehrt diejenigen Tiere über die vermachte Nahrung freuen, die vorher besonders ausgiebig danach riefen. Möglicherweise unterstützen die „Futterspender“ auf diese Weise gezielt bedürftige Geschwister. Zum anderen erreichte die abgetretene Nahrung überwiegend diejenigen Tiere, die vorab besonders häufig das Gefieder des abgebenden Vogels gepflegt hatten. Diese Beobachtung legt nahe, dass die „Futterspender“ nicht ausschließlich selbstlos handeln, sondern mit der Abgabe ebenfalls auf vorherige Gegenleistungen reagieren. Dafür spricht auch ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Vögel richteten die Gefiederpflege vorwiegend an ältere Geschwister – vermutlich um die eigene Chance zu erhöhen, zukünftig Futter zu erhalten. 

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei der Futterweitergabe unter Schleiereulen-Geschwistern sowohl die Menge der verfügbaren Nahrung als auch die Bedürftigkeit des Empfängers eine entscheidende Rolle spielen. Außerdem verbessern Jungvögel offenbar ihre Aussicht auf eine Futterspende, wenn sie zuvor das Gefieder ihrer älteren Geschwister pflegen. Die Forscher*innen spekulieren, dass die ältesten Schleiereulen-Nachkommen die bedarfsgerechte Futterverteilung anstelle der Eltern vornehmen, die dadurch wertvolle Zeit für weitere Jagdflüge gewinnen. Ob dies wirklich zutrifft, bleibt allerdings in einer entsprechenden Studie zu untersuchen.


Zur Fach-Publikation:
Ducouret, P.; Romano, A.; Dreiss, A. N.; Marmaroli, P.; Falourd, X.; Bincteux, M. & Roulin, A. (2020): Elder barn owl nestlings flexibly redistribute parental food according to siblings’ need or in return for allopreening. The American Naturalist.

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